23. November 2024

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Habeck will Speicherung von CO2 auf hoher See ermöglichen

CO2-Emissionen zu senken gehört zu den wichtigsten Zielen der Bundesregierung. Künftig soll ein umstrittenes Verfahren dabei helfen. Umweltschützer befürchten nun «CO2-Mülldeponien» unter dem Meer.

Um die Klimaziele zu erreichen, soll schädliches CO2 in Deutschland künftig auch im Boden gespeichert werden – zumindest in der Nordsee. Es gehe vorrangig darum, Emissionen aus Branchen abzufangen, die nach aktuellem Stand nur schwer oder gar nicht klimaneutral werden könnten, sagte Wirtschaftsminister Robert Habeck. Dazu gehören zum Beispiel die Zement- und die Kalkindustrie. Doch die sogenannte CCS-Technik soll auch für die Energieproduktion in Gaskraftwerken erlaubt werden, was Umweltschützer stark kritisieren. Das gefährde den Ausstieg aus fossilen Brennstoffen, warnen sie. 

Was ist CCS?

CCS steht als englische Abkürzung für «Carbon Dioxide Capture and Storage». Gemeint ist die Abscheidung und unterirdische Speicherung von klimaschädlichem Kohlendioxid (CO2), das beispielsweise in Industrieanlagen und bei der Verbrennung von Öl, Gas und Kohle entsteht. Mit energieintensiven Verfahren wird das Treibhausgas eingefangen, verflüssigt und dann etwa in den Meeresgrund gepresst und eingelagert. Das soll verhindern, dass das CO2 in die Atmosphäre gelangt und die Erderwärmung beschleunigt.

Habeck betonte: «Diese Technologie ist sicher. Risiken sind – wie die im Bergbau oder in der Chemieindustrie – managebar.» Schon seit 1996 wird CCS nach Angaben der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) im industriellen Maßstab etwa in der Nordsee vor der Küste Norwegens eingesetzt. Als problematisch sieht das Umweltbundesamt vor allem den enormen zusätzlichen Energieaufwand. Im Normalbetrieb seien in aller Regel keine gesundheitlichen Auswirkungen für den Menschen zu erwarten. Risiken gebe es jedoch durch Unfälle, bei denen CO2 schlagartig entweiche, oder durch eine allmähliche Freisetzung. Durch Leckagen könnten auch Risiken für das Grundwasser und für den Boden entstehen. 

Wo soll die Speicherung in Deutschland erlaubt werden?

Vorerst ist das nur offshore in der sogenannten ausschließlichen Wirtschaftszone (AWZ) vorgesehen. Das ist ein Teil der Nordsee, bis zu 200 Seemeilen von der Küstenlinie entfernt. Meeresschutzgebiete werden ausgenommen. Eine Speicherung an Land, zum Beispiel in ehemaligen Gas- und Erdöllagerstätten, soll vorerst ausgeschlossen bleiben. Sollten die Bundesländer darum bitten, könne man darüber aber diskutieren, sagte Habeck. Das CO2 soll über ein noch aufzubauendes Netz an Pipelines zum Speicherort gebracht werden.

Was bringt CCS mit Blick auf den Klimaschutz?

Fachleute sind sich weitgehend einig, dass CCS als Ergänzung nötig ist, um manche Industrien klimaneutral zu machen. Das deutsche Klimaziel – Klimaneutralität bis 2045 – sei nur mit CO2-Speicherung zu erreichen, sagte der deutsche Klimaforscher Ottmar Edenhofer. Habeck betonte: «Wir sind nicht mehr in einer Welt, in der wir Rosinen picken können, sondern in der wir nutzen müssen, was verfügbar ist.» Die Zeit sei abgelaufen. 

Umstritten ist jedoch, ob die Technik auch dort ermöglicht werden soll, wo sich CO2-Emissionen grundsätzlich vermeiden lassen. Umweltverbände warnen, dass es dadurch mit dem Klimaschutz noch langsamer vorangehen könnte. Wenn CO2 wieder eingefangen werden könne, werde man sich weniger um vorherige Vermeidung bemühen.

Wie geht die Bundesregierung auf die Befürchtungen ein?

Habeck betonte: «Im Zentrum unserer Anstrengungen steht immer, Emissionen erst gar nicht entstehen zu lassen.» Der strategische Fokus der CCS-Strategie liege auf schwer oder nicht vermeidbaren Emissionen, die zum Beispiel bei der Abfallverbrennung oder in der Zementindustrie anfallen, auch wenn man erneuerbare Energien einsetzt. In solchen Branchen will die Bundesregierung die effizientesten Projekte auch finanziell fördern. 

Bei der Energieproduktion, wo Emissionen vermeidbar sind, soll es keine Förderung geben. Kohlekraftwerke sollen außerdem keinen Zugang zum Pipeline-Netz bekommen, weil es beim Kohleausstieg bleiben soll. 

Bei Gaskraftwerken sieht das zum Missfallen von Umweltschützern anders aus. NABU-Bundesgeschäftsführer Leif Miller bezeichnete es als falsches Signal, auch die Emissionen fossiler Kraftwerke einzubeziehen. «Der Fokus muss weiter klar auf dem Ausbau der erneuerbaren Energien und dem vollständigen Ausstieg aus fossilen Brennstoffen liegen», mahnte er. BUND-Chef Olaf Bandt warnte, Habeck setze den Ausstieg aus den fossilen Energien aufs Spiel. «CO2-Mülldeponien unter dem Meer» könnten schon bald Realität werden – trotz gefährlicher Risiken für menschliche Gesundheit und marines Leben. Im Grunde gebe Habeck einen Freifahrtschein und mache das Geschäft der Gaskonzerne noch profitabler.

Wie geht es weiter?

Bisher hat Habeck die geplante Reform mit dem Kanzleramt und dem Finanzministerium vorbesprochen. Es gebe damit eine grundsätzliche Einigkeit der Koalitionspartner, sagte er. Doch die offizielle Abstimmung mit allen Bundesministerien läuft noch. Das Umweltministerium kündigte an, seine Position einzubringen. Ein Sprecher hob die Funktion des natürlichen Klimaschutzes der Meere hervor. Daher begrüße man, dass Meeresschutzgebiete ausgeschlossen würden. 

Heftigere Diskussionen dürfte es im Bundestag geben – auch in Habecks eigener Grünen-Fraktion. «CCS bei Gaskraftwerken lehnt die grüne Bundestagsfraktion ab», sagte die Grünen-Abgeordnete Lisa Badum dem Nachrichtenportal t-online. Der FDP-Abgeordnete Lukas Köhler dagegen bezeichnete die Pläne als historischen Meilenstein auf dem Weg zur Klimaneutralität. Letztlich sollten in der Industrie und auch in Gaskraftwerken die Kosten darüber entscheiden, ob man CCS oder andere Technologien zur Vermeidung von CO2-Emissionen einsetze. 

Die oppositionelle Union befürchtet, dass die Pläne noch scheitern könnten. «Nichts spricht dafür, dass die Fundis bei den Grünen und die Linken in der SPD ihre Blockadehaltung gegen jeden Fortschritt bei der CO2-Abscheidung aufgegeben haben», sagte CDU-Klimapolitiker Andreas Jung. Unklar sei Art, Umfang und Sicherung der Förderung. 

In der Industrie kommen die ersten Pläne dennoch gut an. Der BDI sieht darin einen wichtigen Schritt für die wettbewerbsfähige Transformation der Industrie hin zur Klimaneutralität. Die Strategie sei «ein Signal der Solidarität an Europa, dass wir auch bereit sind, vor der eigenen Tür zu kehren und abgeschiedenes CO2 nicht nur an unsere Nachbarn exportieren wollen», erklärte der Vorsitzende der Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie (IGBCE), Michael Vassiliadis. 

Von Theresa Münch, dpa