«Die D-Mark ist etwas, das manche Deutsche mehr lieben als die eigene Frau» – so brachte im Oktober 1997 der damalige Bundesfinanzminister Theo Waigel (CSU) das innige Verhältnis vieler Deutscher zu ihrer Währung auf den Punkt. Im Geldbeutel haben die Menschen seit mehr als 20 Jahren den Euro, doch im Kopf ist die D-Mark bei vielen noch präsent: Hat die Eiskugel, für die man heute bis zu 2 Euro hinlegen muss, nicht mal 30 Pfennig gekostet? Die D-Mark, Symbol für den wirtschaftlichen Wiederaufstieg Deutschlands nach dem Zweiten Weltkrieg, ist zu einem Mythos geworden.
Als die D-Mark am 21. Juni 1948 in den westlichen Besatzungszonen eingeführt wurde, füllten sich über Nacht die Regale der Geschäfte. Händler holten die Waren aus den Lagern, die sie gehortet hatten, weil sie der Vorgängerwährung Reichsmark nicht mehr trauten. Im Laufe der Zeit entwickelte sich die D-Mark zur weltweit zweitwichtigsten Reserve- und Handelswährung nach dem US-Dollar. Die D-Mark sei «Symbol einer Schlaraffenlandzeit, in der wir uns das eigene kleine Häuschen gebaut haben», sagte der Hamburger Verhaltenstherapeut Iver Hand im Mai 2002, wenige Monate nach Einführung des Euro-Bargelds.
Allerdings: Der harte Schnitt der Währungsreform 1948 war auch ein Schock. Guthaben von Kleinsparern schnurrten zusammen, aus 100 Reichsmark auf dem Sparbuch wurden 6,50 D-Mark. Dagegen wurden Löhne, Mieten und Steuern im Verhältnis 1:1 umgestellt. Jeder Bürger erhielt 40 Mark «Kopfgeld» und weitere 20 Mark einen Monat später. Letztlich war die Verknappung des Geldes die Grundlage einer stabilen Währung, Tauschhandel und «Zigarettenwährung» am Schwarzmarkt verschwanden.
Von der DDR-Mark zur D-Mark
Die größte Bewährungsprobe für die D-Mark kam Jahrzehnte später völlig unerwartet: «Kommt die D-Mark, bleiben wir, kommt sie nicht, geh’n wir zu ihr!», riefen die Menschen in Ostdeutschland im Wendeherbst 1989. Noch vor der politischen Einheit ersetzte die D-Mark am 1. Juli 1990 die DDR-Mark, Umtauschkurs: 1:1. Vor allem der damalige Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU) drängte auf eine zügige Wirtschafts- und Währungsunion – trotz Warnungen auch seitens der Bundesbank. Das Problem: Mit der Einführung der D-Mark fand sich die Planwirtschaft der untergehenden DDR über Nacht im rauen Wettbewerb der Marktwirtschaft wieder.
Gut elf Jahre später, zum Jahreswechsel 2001/2002, löste der Euro in Schein und Münze D-Mark, Franc, Lira, Schilling und Co. ab. Auf Euphorie folgte hierzulande schnell Ernüchterung: Viele Menschen erlebten den Euro als «Teuro». Statistiker und Ökonomen konnten noch so sehr argumentieren: Beim Einkaufen, in der Kneipe oder beim Friseur wurden Verbraucher das Gefühl nicht los, D-Mark-Preise seien im Zuge der Währungsumstellung 1:1 in Euro umgerechnet worden. Das Wortspiel wurde so populär, dass «Teuro» gleich im Jahr der Einführung des Euro-Bargeldes Deutschlands «Wort des Jahres» wurde.
Sollten zudem böse Zungen Recht behalten, dass eine gemeinsame Währung unter anderem mit Italienern und Griechen zwangsläufig zur Weichwährung verfallen musste? Der damalige Kanzler Kohl wusste um die Bedenken, wie er später in einem Interview offen einräumte: «Eine Volksabstimmung über die Einführung des Euro und die Abschaffung der D-Mark hätten wir mit großer Wahrscheinlichkeit verloren.»
Ein Komma von großer Bedeutung
Welche Währung ist denn nun die härtere: D-Mark oder Euro? Der letzte Bundesbank-Präsident der D-Mark-Ära, der 2016 verstorbene Hans Tietmeyer, erzählte dazu die Anekdote, er habe Ende der 1990er Jahre anlässlich der Euro-Einführung das Orakel von Delphi gefragt, welche Währung auf Dauer stabiler sein werde: die D-Mark oder der Euro. Zur Antwort habe er erhalten: «Die Mark nicht der Euro.» Wo das Komma in dem Satz stehe, ob vor oder nach dem «nicht», habe er nicht erfahren.
Tatsächlich hat sich der Euro als stabile Währung erwiesen. In den 25 Jahren ihres Bestehens hat die Europäische Zentralbank (EZB) ihr Ziel einer durchschnittlichen jährlichen Inflationsrate von zwei Prozent erreicht. Umfragen der Europäischen Union zufolge hat der Euro breite Zustimmung: Mehr als 80 Prozent der Deutschen und mehr als 70 Prozent der Europäerinnen und Europäer unterstützen die Gemeinschaftswährung.
Doch Euro-Skepsis und D-Mark-Sehnsucht sind keineswegs verschwunden. Der ehemalige EZB-Chefvolkswirt Otmar Issing hält den Wunsch nach Rückkehr der D-Mark jedoch für Nostalgie, wie er 2018 sagte: «Die entzündet sich am Preis für die Maß Bier beim Oktoberfest in München, und die Leute vergessen dann, dass auch zu D-Mark-Zeiten dieser Preis von Jahr zu Jahr immer angestiegen ist.»
So ist auch die Erklärung für den auf den ersten Blick offenbar unverschämt gestiegenen Preis für eine Kugel Eis komplex: gestiegene Löhne und damit höhere Kaufkraft, gestiegene Rohstoff- und Energiepreise für die Hersteller, mehr Bürokratie.
Wer noch Altbestände an D-Mark besitzt oder per Zufall findet – etwa bei einer Erbschaft – kann sich dafür in der Regel ohnehin nichts mehr kaufen. Der Umtausch in Euro jedoch ist bei der Bundesbank unbefristet möglich.
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