Mit Blick auf schon spürbare Beeinträchtigungen der deutschen Wirtschaft haben Wirtschaftsverbände vor den Folgen weiterer Sanktionen gegen Russland gewarnt – möglich wäre etwa ein Embargo für Öl oder Gas.
«In der deutschen Wirtschaft gibt es eine breite Zustimmung für die harten Sanktionen. Denn Krieg ist keine Basis für Geschäfte», sagte Martin Wansleben, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Industrie- und Handelskammertags (DIHK) der «Rheinischen Post». Die bisherigen Sanktionen begännen Schritt für Schritt zu wirken. Auch die Metall- und die Chemieindustrie warnten vor den Kosten eines Importstopps für Energie aus Russland.
«Aufgrund konkreter Hinweise aus den Unternehmen wissen wir, dass die Rückwirkungen auf die deutsche Wirtschaft in den kommenden Monaten nicht unterschätzt werden dürfen», sagte Wansleben weiter. «Das gilt nicht nur für weiter steigende Energiepreise, sondern gerade auch für Verwerfungen in den Lieferketten mit großer Breitenwirkung in der Wirtschaft», warnte er.
«Die Inflation wäre zweistellig»
Immer mehr mittelständische Industriebetriebe könnten sich bei diesen Preisen die Produktion in Deutschland nicht mehr leisten. «Hinzu kommt die Sorge, die eigenen Anlagen wegen Energieengpässen zumindest vorübergehend abschalten zu müssen. Diese wirtschaftliche Situation sollte jede Politikerin und jeder Politiker in Europa berücksichtigen», sagte Wansleben.
Auch die Metall- und Elektroindustrie warnte vor wirtschaftlichen Folgen im Fall eines Energie-Embargos. «Wenn Deutschland sich dazu entschließen sollte, kein Gas oder Öl aus Russland mehr zu importieren, würde sich das dramatisch auf unsere Industrie, aber auch auf die Privathaushalte auswirken», sagte der Präsident des Arbeitgeberverbands Gesamtmetall, Stefan Wolf, der «Frankfurter Allgemeinen Zeitung». «Die Inflation wäre zweistellig. Die Versorgungssicherheit wäre ernsthaft gefährdet.»
Die Chemie-Industrie verwies auf den großen Verbrauch von Öl und Gas in der Branche. Sollte es wegen eines Energie-Embargos zu längeren Ausfällen von Anlagen kommen, hätte das massive Folgen für die Wertschöpfungsketten in Deutschland, erklärte der Verband der Chemischen Industrie (VCI) in Frankfurt. Etwa 95 Prozent aller Industrieerzeugnisse benötigten Chemieprodukte, vom Auto über Computerchips und Dämmmaterialien bis hin zu Fernsehern, Arzneien sowie Waschmitteln.
«Wer die Energie- und Rohstoffversorgung für die chemische Industrie kurzfristig abschaltet, lähmt auch die gesamte Industrieproduktion am Wirtschaftsstandort Deutschland», sagte Hauptgeschäftsführer Wolfgang Große Entrup der dpa.
Merz: «Neue Qualität in den Sanktionen»
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) setzt weiter auf Energieimporte aus Russland. In der EU sind die Positionen aber gespalten, wie sich beim Sondergipfel in Versailles zeigte. Die US-Regierung hat bereits einen Importstopp für russisches Öl verhängt. Befürworter eines Energie-Embargos kritisieren, dass deutsche Energieimporte aus Russland den Ukraine-Krieg letztlich mitfinanzieren.
Die Unionsfraktion im Bundestag hat einen Stopp des Gasbezugs über die Pipeline Nord Stream 1 gefordert. Dies würde «eine neue Qualität in den Sanktionen bedeuten», hatte Fraktionschef Friedrich Merz gesagt. SPD-Fraktionsvize Matthias Miersch hält einen kompletten Verzicht auf Öl, Gas und Steinkohle aus Russland als letzte Option für denkbar.
Rund 55 Prozent des importierten Erdgases kommen laut Bundeswirtschaftsministerium aus Russland. Bei den deutschen Ölimporten stammt laut VCI ein Drittel aus russischen Quellen.
Gefahren für die Versorgungssicherheit?
Oliver Hermes, Vorsitzender des Ost-Ausschusses der deutschen Wirtschaft, warnte vor Gefahren für die Versorgungssicherheit in Deutschland. «Ein kurzfristiger Stopp der Erdgaseinfuhren würde ganze Industriezweige und die Versorgung der Haushalte mit Strom und Wärme massiv gefährden.» Anders als bei Erdöl und Kohle seien alternative Beschaffungsmöglichkeiten für Erdgas kurzfristig nicht ausreichend verfügbar, sagte Hermes.
«Wir unterstützen alle Maßnahmen der internationalen Gemeinschaft, um den russischen Krieg gegen die Ukraine so schnell wie möglich zu beenden. Wir teilen aber die ablehnende Haltung der Bundesregierung im Hinblick auf einen Bezugsstopp für russisches Erdgas.»
Ähnlich äußerte sich der Verband der Automobilindustrie (VDA). «Ohne Zweifel muss Deutschland, muss Europa, seine Abhängigkeit von Russland bei der Energieversorgung überwinden», sagte VDA-Präsidentin Hildegard Müller der dpa. Dabei müsse die Regierung aber auch die Konsequenzen für die Menschen und die Wirtschaft sehen und Folgen abwägen. «Ein kurzfristiger Importstopp von Öl, Kohle und insbesondere von Gas, gefährdet eine sichere Energieversorgung und industrielle Produktionsprozesse.»
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