21. November 2024

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Johnson feiert britischen Wirtschaftsrekord

Die Regierung ist begeistert und klopft sich auf die Schultern: Die britische Wirtschaft hat ein starkes Jahr 2021 hingelegt. Doch Experten mahnen, dies sei nur eine Seite der Medaille.

Es sind eindrucksvolle Zahlen, die das britische Statistikamt verkündet: Um 7,5 Prozent ist die Wirtschaft im Vereinigten Königreich 2021 gewachsen, so stark wie seit 80 Jahren nicht.

Stolz twitterte das Finanzministerium eine Grafik, die Großbritanniens Wirtschaftskraft im vergangenen Jahr im Vergleich mit den anderen G7-Staaten deutlich in Führung zeigt. Obwohl die konservative Regierung wegen der Ausbreitung der Omikron-Variante im Winter erneut Corona-Regeln einführte, legte die Konjunktur auch im Schlussquartal um 1 Prozent zu.

Allerdings weisen Experten darauf hin, dass es sich in erster Linie um eine Erholung handelt: 2020 war die britische Wirtschaft um 9,4 Prozent abgesackt – das stärkste Minus seit 1921. Die Regierung ging darauf nicht ein. «Dank der unglaublichen Entschlossenheit des britischen Volkes und unserer großartigen britischen Impfbemühungen erholt sich die Wirtschaft stark», schrieb Premierminister Boris Johnson. Und Finanzminister Rishi Sunak, der als möglicher Nachfolger des Regierungschefs gilt, betonte, das Rekordjahr sei vor allem dem 400 Milliarden Pfund schweren Corona-Hilfspaket zu verdanken.

Johnson sieht sich bestätigt. Allen Kritikern an seiner Amtsführung und den Lockdown-Partys hat er immer wieder entgegen geschleudert, dass nur dank seiner Politik die britische Wirtschaft stärker als andere aus der Corona-Pandemie zurückgekommen sei. Doch Ökonomen mischen viel Wasser in den Wein. Ja, Großbritannien habe 2021 das stärkste Wachstum der G7-Mitglieder hingelegt. Aber das Land hatte 2020 auch das deutlichste Minus zu verzeichnen.

Über die gesamte Pandemie gesehen schnitt lediglich Japan schwächer ab, und auch im letzten Quartal 2021 war das britische Wachstum deutlich niedriger als das der meisten anderen führenden westlichen Industriestaaten (G7). Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) lag damit immer noch unter dem Niveau vom vierten Quartal 2019 vor Ausbruch der Pandemie. Andere Länder sind längst weiter.

«Die Erholung könnte recht kurzlebig sein», sagte der Ökonom Thomas Pugh von der Unternehmensberatung RSM UK. Denn vor allem die rasante Inflation droht den Effekt direkt im Keim zu ersticken. Pugh rechnet damit, dass die Teuerungsrate im April auf rund 7 Prozent steigt.

Dabei bleibt es nicht, wie Sebastian Mackay vom Fondsmanager Investo warnte. «Auf die Haushalte in Großbritannien kommt ein Dreifachschlag aus höheren Energiepreisen, höheren Sozialversicherungsbeiträgen und höheren Zinsen zu», sagte Mackay. Die Bank of England erwartet, dass die Realeinkommen 2022 so stark sinken wie seit drei Jahrzehnten nicht mehr. In Kombination mit einem abschwächenden globalen Wachstum sind das keine guten Aussichten für die britische Wirtschaft.

Warenaustausch mit EU seit Brexit deutlich eingebrochen

Zumal sich Großbritannien nicht auf den Handel verlassen kann. Exporte wie Importe lagen 2021 unter dem Niveau von 2018. Vor allem der Warenaustausch mit der EU ist seit dem Brexit deutlich eingebrochen und kann vom gestiegenen Handel mit anderen Staaten nicht ausgeglichen werden. Für die Exportmacht Deutschland hat die Bedeutung des britischen Marktes deutlich abgenommen, wie Zahlen des Statistischen Bundesamtes zeigen. In der Liste der wichtigsten Handelspartner rutschte das Königreich um drei Plätze auf den zehnten Rang ab und steht kurz davor, von Tschechien überholt zu werden.

Für Stirnrunzeln in Großbritannien sorgen auch die jüngsten Wachstumstreiber. Laut Statistikamt ONS waren vor allem höhere Ausgaben im Gesundheits- und Sozialwesen für den Schub verantwortlich. Das lag an mehr Hausarztbesuchen sowie mehr Corona-Testungen und -Impfungen aufgrund der jüngsten Pandemie-Welle. Diese Treiber dürften deutlich abnehmen, wenn die Pandemie wie erwartet langsam abebbt. Dafür dürfte der Konsum zwar wieder zulegen – wenn Verbraucherinnen und Verbraucher noch Geld über haben.

Von Benedikt von Imhoff, dpa