Es soll der große Wurf für Volkswagen werden – in der Aufholjagd zu Tesla und auch bei der Sicherung möglichst vieler Jobs im Elektro-Zeitalter.
Nahe seinem Stammsitz Wolfsburg will Europas größter Autohersteller eine komplette zweite Fabrik hochziehen. Wenn auf den letzten Metern im Aufsichtsrat alles glatt geht, wird der Standort zur Keimzelle der von Grund auf neu konzipierten Fahrzeug-Generation Trinity. Und das kaum mehr als 200 Kilometer entfernt von der «Gigafactory» des kalifornischen Rivalen.
Aber: Tesla steht bei Berlin längst in den Startlöchern. Die offene Kampfansage durch VW in Form eines neuen Werks kommt nach allerlei PR-Rhetorik und halb furchtsamer, halb einschmeichelnder Bewunderung für Elon Musk relativ spät. Für Konzernchef Herbert Diess steht viel auf dem Spiel. Zumal der mächtige Betriebsrat nach den jüngsten Reibereien um möglichen Jobabbau Trinity als zentrale Zusage dafür sieht, den Beschäftigten einen Weg in die neue Autowelt zu ebnen.
Von Revolution ist die Rede
Der Vorstandschef spart nicht mit großen Worten. «Trinity wird den Automobilbau in Wolfsburg revolutionieren», sagte Diess am Mittwoch. Am Vorabend hatte VW die Katze aus dem Sack gelassen und eine Art «Wolfsburg zwei» in Aussicht gestellt. Nun wurde auch klar, warum das Kontrollgremium sein Go für den Fünfjahres-Investitionsplan auf den Dezember verschieben musste: Neben dem Zoff zwischen dem Konzernboss und Betriebsratschefin Daniela Cavallo, der viele Mitarbeiter tief verunsicherte, brauchen die Aufseher noch Zeit, um das Projekt formal zu prüfen. Alles andere als eine Zustimmung würde bei Belegschaft und IG Metall jetzt aber vermutlich eine ausgewachsene Meuterei auslösen.
Entstehen wird aller Voraussicht nach, wie bei Tesla in Grünheide, eine Fabrik auf der «grünen Wiese» – in der Nähe, aber ausdrücklich als separate Einheit außerhalb des Hauptwerks, auf dessen Areal schon ein Entwicklungszentrum für gut 800 Millionen Euro gebaut wird («Campus Sandkamp»). Laut Schätzungen aus Konzernkreisen wird in der Trinity-Montage mindestens eine ähnliche Summe nötig. Bis zu 250.000 Wagen könnten dort pro Jahr fertig werden, ergänzend zu jeweils ebenso vielen anderen E-Autos und Verbrennern im Stammwerk nebenan.
Reißbrettansatz soll Stau verhindern
Der Reißbrettansatz hat den Charme, dass VW neue Fertigungstechnik direkt installieren kann. So entsteht kein Stau bei Modellen wie Golf, Tiguan, Touran oder Seat Tarraco – ein wichtiger Nebeneffekt für die angepeilte höhere Produktivität. Diess will «kürzere Produktionszeiten und effizientere Arten der Zusammenarbeit». Zudem könnten Beschäftigte zwischen den Fabriken hin und her wechseln.
«Ein neues Werk ist natürlich leichter und schneller zu realisieren als ein Umbau auf dem bisherigen Gelände», sagt der Autoanalyst Frank Schwope. Doch VW müsse sich beeilen: Tesla mache gerade vor, wie man das in anderthalb bis zwei Jahren machen könne. Der US-Wettbewerber setzt in den eigenen «Gigafactories» etwa eine Karosserietechnik ein, bei der wenige große Teile aus Alu-Druckguss statt in vielen kleinen gepressten Einheiten gefertigt werden. Überdies hat Tesla weniger Batteriezellvarianten, auch das spart Geld und senkt die Komplexität.
In der aktuellen Halbleiterkrise soll Elon Musks Firma zudem deshalb recht gut dastehen, weil sie für Steuergeräte und weitere Anwendungen ein eigenes Chipdesign betreibt. Die Folge: direkte Verträge mit den Produzenten statt mit dazwischengeschalteten Autozulieferern. Da ist VW noch lange nicht – und Cavallo warf Diess gerade Defizite beim Management der Lieferverträge und strategischen Versorgung vor. «Wolfsburg zwei» könnte den Anlass liefern, hier Abhilfe zu schaffen.
Tesla gibt derweil Gas
Derweil drückt Tesla beim Bau seiner ersten E-Auto-Fabrik in Europa aufs Tempo. Rund zwei Jahre nach der Ankündigung steht das Werk fast. Loslegen kann Musk aber noch nicht. Es gibt bisher keine endgültige umweltrechtliche Genehmigung vom Land Brandenburg, Tesla baut über vorzeitige Zulassungen. Der Standort gilt aber auch so schon als eines der wichtigsten ostdeutschen Industrieprojekte. In Grünheide sollen 12.000 Menschen bis zu 500.000 Elektroautos jährlich bauen.
Der Zeitplan geriet mehrfach ins Wanken. Eigentlich sollten seit Mitte 2021 die ersten Fahrzeuge fertig sein. Nun peilt Musk an, dass spätestens im Dezember die Produktion losgeht. Nach Kritik von Umweltverbänden wurde eine Online-Erörterung jüngst noch einmal gestartet. Naturschützer fürchten Folgen für Tiere und Trinkwasser.
Kürzlich veranstaltete Musk ein Volksfest in Grünheide. Auf die Frage nach Wasserproblemen lachte er und sagte: «Unsere Fabrik verbraucht sehr wenig Wasser.» Mit Diess gibt es regelmäßig Kontakt: Als Überraschungsgast war der Tesla-Chef gerade per Video bei einer VW-Managertagung zugeschaltet. Und Diess will Grünheide besuchen.
Enge Abstimmung nötig
Im eigenen Unternehmen müssen der Konzernchef und sein Markenleiter Ralf Brandstätter den Trinity-Aufbau mit der Weiterentwicklung des Stammwerks eng abstimmen. «Das Ganze macht nur Sinn, wenn auch eine Nachnutzung geplant ist», so Schwope. Der Betriebsrat dringt außerdem darauf, dass auch in den alten Hallen nördlich des Mittellandkanals mindestens ein weiteres Elektromodell angesiedelt wird. Zumindest ergänzende Volumina der ID-Reihe wären wünschenswert, heißt es.
Denn bis Trinity ab 2026 anläuft, dauert es noch. Das erste Projekt, das VW vollmundig zum «Tesla-Fighter» ausgerufen hatte, startet etwas früher in Hannover, wo sich Porsche, Audi und Bentley zur Entwicklung einer Oberklasse-E-Limousine zusammentun. Bei Trinity handelt es sich ebenso um ein neu konzipiertes System – aber für die Mittelklasse. In ihm sollen die modernsten E-Antriebe, selbst programmierte Software und Techniken zum vollautomatisierten Fahren zum Einsatz kommen.
«Der Wettbewerbsdruck steigt, nicht zuletzt vor der eigenen Haustür», so Brandstätter. Eine Fertigungszeit von zehn Stunden je Auto sei bei Trinity wohl machbar – Tesla-Standard. «Auch das Stammwerk soll anschließend nach diesem Vorbild tiefgreifend modernisiert werden.»
Der Betriebsrat hatte kritisiert, dass Diess keine hinreichende Strategie für eine stärkere Auslastung Wolfsburgs habe – zumal in der anhaltenden Chip-Lieferkrise mit sehr viel Kurzarbeit. Nun zeigt sich Cavallo versöhnlicher: «Die Trinity-Fabrik steht für hohe Auslastung und sichert Beschäftigung. Die Pläne sind mutig und genau richtig.»
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