21. November 2024

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Kein Schwein mehr: Wenn der Züchter aufgibt

Nach über 50 Jahren und drei Generationen geben die Webers ihre Schweinezucht auf. Sie würden gerne weitermachen, aber sie können sie nicht mehr bezahlen. Es geht ihnen wie zig anderen Bauern auch.

Bald haben die beiden kein Schwein mehr. Auf dem Hof von Marco und Udo Weber in Lissendorf in Rheinland-Pfalz ist von Woche zu Woche mehr Platz im Stall.

Vor einigen Monaten noch standen hier 250 Zuchtsauen und 700 Mastschweine, pro Jahr wurden 250 Ferkel gemästet. Aber die beiden Männer, Schweinebauern in dritter Generation, geben auf. 20 Sauen stehen noch trächtig im Stall, weil Udo Weber sie doch noch einmal hat besamen lassen: «Die werden im Dezember abferkeln, dann ist Feierabend.»

Seniorchef Karl Weber (80) freut sich, dass wegen der Ferkel mit dem Schweinebetrieb erst März 2022 Schluss ist, drei Monate später als ursprünglich geplant. Er hat Tränen in den Augen. «Das haben wir noch vor uns, wenn die letzten Schweine rausgehen. Das ist doch mein Leben, seit 1959.» Damals kaufte sein Vater Matthias fünf trächtige Sauen. So hatte es mit dem Schweinehof angefangen.

60 Euro Verlust pro Mastschwein

Und so endet es nun: «Ich verliere 4000 Euro pro Woche», rechnet Marco Weber (46) vor. Er ist nicht nur Schweinebauer, sondern seit 2016 Abgeordneter und parlamentarischer Geschäftsführer der FDP-Fraktion im Landtag Rheinland-Pfalz. «Vor ein paar Tagen haben wir für ein ausgewachsenes Mastschwein 114 Euro bekommen. Das ist ein Verlust von 60 Euro pro Tier. Und ein Ferkel, für das wir früher 70 Euro bekamen, bringt jetzt 22 Euro.»

Die Schweinebauern aus Lissendorf sind mit ihren Problemen nicht alleine. Im vergangenen Jahrzehnt sank die Zahl der Schweine nach Angaben des Statistischen Bundesamts in Deutschland um knapp 8 Prozent, die Zahl der Betriebe mit Schweinehaltung um 37,5 Prozent auf knapp 12.000 Betriebe. Die Zahl der gehaltenen Schweine ging im selben Zeitraum um 3,8 Millionen Tiere zurück. Von einer «Schweinekrise» sprechen Bauern und Verbände, über eine «existenzbedrohende Lage der deutschen Schweinehaltung» klagt der Deutsche Bauernverband.

Appell an Agrarminister Özdemir

Deutsche Schweinehalter appellieren daher an Bundesagrarminister Cem Özdemir (Grüne), schnellstmöglich ein Konzept zum Umbau der Tierhaltung vorzustellen. Torsten Staack, Geschäftsführer der Interessengemeinschaft der Schweinehalter Deutschlands (ISN), sagt der «Neuen Osnabrücker Zeitung»: «Entscheidend ist, dass die Schweinehalter nun endlich schnell Planungssicherheit und Perspektive bekommen. Je länger das dauert, desto mehr Betriebe steigen aus.» Die Ausstiegswelle sei schon jetzt dramatisch hoch.

Einer ISN-Umfrage aus diesem Sommer zufolge ist vor allem die fehlende politische Perspektive für viele Landwirte der Grund, ihre Betriebe oder zumindest die Schweinehaltung in absehbarer Zeit aufzugeben. Die Schweinehalter klagen über den Preisverfall, zudem sind internationale Absatzmärkte weggebrochen.

Eigentlich hatte es gut angefangen bei den Weber-Brüdern. Nachdem sie 2004 den elterlichen Hof übernahmen, investierten sie kräftig. 2,2 Millionen Euro steckten sie 2007 in einen Schweinehof «komplett nach neuestem Stand». Fußbodenheizung in Teilen des Stalles, Duschen und Hygieneeinrichtungen, eigene Stromproduktion. Noch immer zahlen die Webers den Bankkredit zurück. 2015 gab es dann eine neue Verordnung der EU: Die Spalten im Betonboden, durch die die Ausscheidungen der Tiere ablaufen, durften jetzt nicht mehr 20, sondern nur noch 18 Millimeter breit sein. Die Auswechslung des Stallbodens kostete rund 100.000 Euro.

Klimaschutz und Tierwohl als Herausforderung

Es blieb nicht dabei. Denn mit wachsendem Bewusstsein für Umwelt- und Klimaschutz sowie mit zunehmender Bedeutung des Tierwohlgedankens kamen neue Herausforderungen auf die Bauern zu. Bisher produzieren die Webers zwar besser und luftiger als vorgeschrieben. Doch reicht dies nicht aus, um die Einstufung des Fleisches in Haltungsform 3 oder 4 («Außenklima» oder «Premium») zu erreichen. Für diese Haltungsform müssten sie – so haben es Architekten und Berater errechnet – erneut etwa 2,2 Millionen Euro investieren. «Wenn jetzt die Preise stimmen würden und ich würde Geld verdienen, dann könnte ich das der Bank und auch meiner Familie erklären», sagt Weber.

Die Betriebe bräuchten «eine klare wirtschaftliche und nachhaltige Perspektive», sagt ein Sprecher des Bundeslandwirtschaftsministeriums in Berlin. Die Ampelkoalition habe sich auf Maßnahmen für die Nutztierhaltung verständigt, die auch Schweinehaltern zugutekämen. Zum Beispiel sollten Landwirte dabei unterstützt werden, die Nutztierhaltung in Deutschland artgerecht umzubauen.

Dazu werde ein «durch Marktteilnehmer getragenes finanzielles System» entwickelt, «mit dessen Einnahmen zweckgebunden die laufenden Kosten landwirtschaftlicher Betriebe ausgeglichen und Investitionen gefördert werden». Zudem solle die Investitionsförderung künftig auf gute Haltungsbedingungen in den Ställen ausgerichtet werden, sagt der Sprecher. Und mit einer Tierhaltungskennzeichnung, die eingeführt werden solle, könnten die Schweinehalter beim Verbraucher punkten.

Weber glaubt aber nicht, dass der Preis pro Kilo Schlachtgewicht noch von 1,20 auf vielleicht 2 Euro steigen könnte. «Dann hätte ich auch eine Basis, um über einen Umbau nachzudenken.» Eigentlich würde er den Betrieb gerne den Kindern weitergeben: «Die Schweine sind ja auch kein Produkt wie ein Fensterrahmen oder eine Glasscheibe.» Aber wenn es so bleibt, wie es jetzt aussieht, dann muss er sich immerhin keine Gedanken darum machen, wem er Ferkel verkauft: «Der Mäster, den ich immer beliefert habe, der gibt auch gerade auf.»

Von Birgit Reichert (Text) und Harald Tittel (Foto), dpa