Der erhoffte kräftige Konjunkturaufschwung in Deutschland nach der Corona-Krise lässt auf sich warten.
Die wirtschaftliche Erholung fällt Ökonomen zufolge in diesem Jahr vor allem wegen Materialmangels in der Industrie, aber auch anhaltender Vorsichtsmaßnahmen in der Pandemie schwächer aus, als zunächst vorhergesagt. Im kommenden Jahr soll Europas größte Volkswirtschaft dann umso kräftiger an Fahrt gewinnen. Einer Studie zufolge profitieren einzelne Branchen sehr unterschiedlich vom Aufschwung.
«Der Aufholprozess bleibt intakt, bekommt aber über das Winterhalbjahr eine Delle», sagte Stefan Kooths, Konjunkturchef des Instituts für Weltwirtschaft (IfW) am Donnerstag bei der Vorstellung der aktuellen IfW-Prognose. Wie andere Wirtschaftsforschungsinstitute auch kappte das IfW seine Vorhersage für das laufende Jahr. Nach Einschätzung der Forscher dämpfen weiter bestehende Vorsichtsmaßnahmen zum Infektionsschutz und Lieferengpässe in der Industrie die Entwicklung. Wegen Material-Knappheit beispielsweise bei Halbleitern kann die Industrie ihre gut gefüllten Auftragsbücher derzeit nur begrenzt abarbeiten und muss bei der Produktion auf die Bremse treten. Lieferverzögerungen können die Folge sein.
Lieferschwierigkeiten bei bestimmten Produkten und Bauteilen sorgen beispielsweise dafür, dass Unternehmen des Elektrohandwerks Aufträge verschieben oder absagen müssen, wie aus einer Umfrage des Zentralverbands der Deutschen Elektro- und Informationstechnischen Handwerke (ZVEH) hervorgeht. Nahezu jeder Betrieb (knapp 95 Prozent) ist demnach von Lieferschwierigkeiten betroffen. Hinzu kämen teils massive Preissteigerungen unter anderem für Kabel und Leitungen.
IfW: Vorkrisenniveau erst 2022
Mit der zunächst schwächeren Erholung dürfte die deutsche Wirtschaft ihr Vorkrisenniveau dem IfW zufolge erst im ersten Quartal 2022 erreichen und damit ein halbes Jahr später, als zunächst erwartet. Die Kieler rechnen mit einem Anstieg des Bruttoinlandsproduktes in diesem Jahr um 2,6 Prozent, bisher waren sie von einem Plus von 3,9 Prozent ausgegangen. Im kommenden Jahr soll die Wirtschaftsleistung dann kräftig um 5,1 Prozent zulegen. «Kaufkraft satt bei den Konsumenten und prall gefüllte Auftragsbücher in den Unternehmen – so sieht ein selbsttragender Aufschwung aus», beschrieb Kooths die Aussichten. Die Corona-Krise hatte die deutsche Wirtschaft im vergangenen Jahr in die tiefste Rezession seit der Finanzkrise 2009 gestürzt. Das Bruttoinlandsprodukt brach um 4,9 Prozent ein.
Nach Einschätzung des Forschungs- und Beratungsunternehmens Prognos werden nicht alle Branchen in gleichem Maß von dem Aufschwung profitieren. Der Industrie sagen die Experten in diesem Jahr ein Wachstum der Wirtschaftsleistung von 5,4 Prozent voraus, im Dienstleistungssektor insgesamt erwarten sie ein geringeres Plus von 3,0 Prozent. Zahlreiche binnenmarktorientierte Dienstleister seien durch die Einschränkungen zur Bekämpfung der dritten Pandemie-Welle im vergangenen Winter nochmals geschwächt worden. Der Lockdown hatte unter anderem das Gastgewerbe und Teile des Einzelhandels getroffen.
Fahrzeugbau profitiert
Wachstumsgewinner in der Industrie dürften Prognos zufolge in diesem Jahr nach dem Einbruch 2020 vor allem der Fahrzeugbau (plus 9,5 Prozent) und der Maschinenbau (plus 7,1 Prozent) sein, die von der anziehenden Weltkonjunktur profitieren. Eine überdurchschnittlich kräftige Erholung trauen die Experten auch der Metallindustrie, der Elektrotechnik und dem Bereich Gummi und Kunststoff zu.
Bereiche, die vor allem mit fossilen Energieträgern zu tun haben wie Bergbau, Kokerei und Mineralölverarbeitung dürften dagegen schrumpfen oder nahezu stagnieren. «Diese Beispiele zeigen, dass auch ein kräftiger Aufschwung den Strukturwandel nicht aufzuhalten vermag», heißt es in der Studie.
Wachstumsgewinner im Dienstleistungssektor werden Prognos zufolge Gaststätten, Restaurants, Hotels und andere Beherbergungsbetriebe sein. Nach dem historischen Einbruch im Corona-Krisenjahr dürfte die Wirtschaftsleistung 2021 im Gastgewerbe um rund 20 Prozent zulegen. Im kommenden Jahr halten die Experten ein Plus von 29 Prozent für möglich.
Zahlreiche Wirtschaftsforschungsinstitute, aber auch Bank-Volkswirte hatten in den vergangenen Tagen ihre Konjunkturprognosen für das laufende Jahr gesenkt und für 2022 angehoben. «Die ursprünglich für den Sommer erwartete kräftige Erholung nach Corona verschiebt sich weiter», beschrieb auch Ifo-Konjunkturchef Timo Wollmershäuser die Entwicklung. Gute Nachrichten erwarten die Ökonomen vom Arbeitsmarkt. Sie gehen davon aus, dass die Zahl der Arbeitslosen sinkt und Kurzarbeit weiter abgebaut wird.
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