3. Dezember 2024

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Krise im Wohnungsbau: «Wer heute baut, geht bankrott»

Krise im Wohnungsbau: «Wer heute baut, geht bankrott»

Deutschland braucht dringend mehr Wohnungen – doch die Aussichten sind laut Experten trübe. Gefordert seien unter anderem die Länder.

Experten der Immobilienwirtschaft warnen vor dramatischen Einbrüchen im deutschen Wohnungsbau. Der Rat der Immobilienweisen kritisierte bei der Vorstellung seines Frühjahrsgutachtens unter anderem hohe staatliche Abgaben und teils unzureichende Förderangebote. So fehlen in Deutschland den Fachleuten zufolge in diesem Jahr 600.000 Wohnungen. 2027 sollen es 830.000 sein. Dem Ifo-Institut zufolge könnte die Zahl der jährlich neugebauten Wohnungen bis 2026 um 35 Prozent im Vergleich zum vergangenen Jahr zurückgehen.

«Bauen ist heute faktisch unmöglich», sagte der Präsident des Zentralen Immobilien-Ausschusses, Andreas Mattner, am Dienstag. Wohnungsneuentwickler kämen erst bei einer Durchschnittsmiete von 21 Euro auf eine Schwarze Null. «Wer heute baut, geht bankrott.» Das Ziel der Bundesregierung, 400.000 Wohnungen im Jahr zu bauen, rücke in weite Ferne, sagte der Immobilienweise und Direktor des Walter-Eucken-Instituts, Lars Feld.

Prognose: Nur in Schweden weniger Wohnungen

Nach einer Prognose des Forschungsnetzwerks Euroconstruct, der das Ifo-Institut angehört, dürften 2026 in Deutschland 175.000 Wohneinheiten fertiggestellt werden – 95.000 weniger als 2023. Laut der Prognose geht die Zahl fertiggestellter Wohnungen in den 19 untersuchten europäischen Ländern in den kommenden Jahren nur in Schweden noch stärker als in Deutschland zurück.

«Vor allem wegen der stark gestiegenen Bau- und Finanzierungskosten ist der Wohnungsneubau in Deutschland oftmals nicht mehr möglich», kritisierte Ifo-Bauexperte Ludwig Dorffmeister. «Die Politik hat die Rahmenbedingungen bislang nicht entscheidend verbessert.»

«Europameister bei der Staatsquote»

Schuld an der düsteren Lage sind laut den Immobilienweisen unter anderem hohe staatliche Abgaben. Deutschland sei «Europameister bei der Staatsquote», erklärte Mattner. Gemeint sind staatlich bedingte Kosten beim Bau von Wohnungen, etwa die Grunderwerbsteuer, Umsatzsteuer, technische Baubestimmungen oder energetische Anforderungen.

Die Staatsquote liege in Deutschland derzeit bei 37 Prozent und damit teils deutlich über anderen europäischen Ländern wie Österreich (7 Prozent), Frankreich (19 Prozent) oder Polen (30 Prozent). Wenn die Quote beispielsweise auf 22 Prozent gesenkt würde, lägen Mieten von im Moment 15 Euro noch bei 12,80 Euro, erklärte Mattner. «Es könnte so einfach sein.»

Gefragt seien vor allem die Bundesländer, die Grunderwerbsteuer und kommunale Abschöpfungsprogramme auszusetzen, forderte Mattner. Bundesbauministerin Klara Geywitz mahnte, Bauinvestoren könnten heute nicht über diese Steuer hinaus noch Kitas und Straßen finanzieren. «Die Länder haben die Grunderwerbsteuer immer mehr in die Höhe gesetzt. Nun müssten sie prüfen, welchen Beitrag sie durch Senkung der Grunderwerbsteuer leisten können.»

Gründe zur Hoffnung

Für die Baubranche seien es «alles andere als leichte Jahre» gewesen, sagte die SPD-Politikerin. Es gebe allerdings Entwicklungen, die hoffnungsvoll stimmten. So seien die Zinsen wieder etwas gesunken, die Preise vieler Baumaterialien hätten sich normalisiert, und bei der Auftragslage im Bau sei eine leichte Erholung zu verzeichnen.

Positiv bewertetet der ZIA das neue Förderprogramm für klimafreundlichen Neubau im Niedrigpreissegment, für das der Bund 2024 eine Milliarde Euro zur Verfügung stellen will. Der Verband dringe aber auf einen größeren Schritt: Ein KfW-Programm, das die Marktzinsen auf zwei Prozent senke, brächte bei einer Fördersumme von drei Milliarden Euro 100.000 zusätzliche Wohnungen. Bei neun Milliarden Euro wären es schon 300.000 neue Wohnungen. Das wäre «die wichtige Wende für den Wohnungsmarkt». Ein vorübergehender Verzicht auf die Grunderwerbsteuer oder kommunale Abschöpfungen wären für die Branche wiederum «der Superturbo», sagte Mattner.

Bauwirtschaft für Wachstumschancengesetz

Das Wachstumschancengesetz sei ein «Schritt in die richtige Richtung», sagte Feld. «Ich halte es für völlig falsch, eine Verbindung herzustellen zwischen einem Gesetz, das versucht, für Unternehmensinvestitionen bessere Bedingungen zu schaffen und Steuersubventionen im Rahmen des Agrardiesel.» Das habe nichts miteinander zu tun.

Der Bundesrat hatte das Wachstumschancengesetz blockiert, weil es zu Einnahmeausfällen bei den Ländern führt. Deshalb steckt es im Vermittlungsverfahren zwischen Bundestag und Länderkammer. Die Union will dem Gesetz nur zustimmen, wenn die Streichung von Agrardiesel-Subventionen zurückgenommen wird. Der Vermittlungsausschuss tagt am Mittwochabend.

Von Jacqueline Melcher, Basil Wegener und Alexander Sturm, dpa