Die Rübe hat in Großbritannien gerade Konjunktur – dank Landwirtschaftsministerin Therese Coffey. Tomaten, Gurken und Salat sind derzeit kaum zu bekommen, Supermärkte rationieren manche Sorten, auch Marktführer Tesco und Discounter Aldi. Coffey aber zeigte sich demonstrativ unbesorgt. Die Briten sollten vielmehr die heimischen Spezialitäten wertschätzen, forderte die konservative Politikerin und sagte: «Viele Leute essen derzeit Rüben.» Nun hat sie den Salat – oder vielmehr den Spott.
«Lasst sie Rüben essen», titelte die Zeitung «Daily Mirror» am Freitag – in Anlehnung an das berühmte Zitat «Wenn sie kein Brot haben, dann sollen sie Kuchen essen», das der französischen Königin Marie-Antoinette in den Mund gelegt wird. In sozialen Medien werden die besten Rübenrezepte gesucht. «Das Land braucht Sie. Was kann man mit Rüben zubereiten – vor allem als Ersatz für Tomaten», twitterte der Wissenschaftler Mike Galsworthy nur halb im Spaß an die Adresse von Star-Köchin Nigella Lawson.
In zwei bis vier Wochen werde sich die Situation entspannt haben, sagte Ministerin Coffey. Doch die Lage sei ernster, ist die Branche überzeugt. «Tomaten, Paprika und Auberginen werden erst im Mai in großen Mengen erhältlich sein, also wird es länger als ein paar Wochen dauern», sagte Lee Stiles vom Erzeugerverband Lea Valley Growers Association (LVGA) der BBC. Es sei zu spät für britische Produzenten, um den Mangel auszugleichen – dafür hätten sie früher anpflanzen müssen. Am Freitag warnten die Lauch-Produzenten, die heimischen Vorräte könnten bis April erschöpft sein. Zum Davidstag am 1. März, wenn viele Waliser zu Ehren ihres Nationalfeiertags Lauchgerichte zubereiten, müssten viele Verbraucher vermutlich bereits auf Importware zurückgreifen.
Und wer ist Schuld?
Für die Regierung ist klar, wer Schuld hat: das ungewöhnlich kalte Wetter in den Anbaugebieten Spanien und Marokko. «Wir können das Wetter in Spanien nicht kontrollieren», sagte Ministerin Coffey auf der Jahrestagung des Bauernverbandes NFU. Das Wetter sei in der Tat ein Faktor, betonte der Lebensmittelexperte Ged Futter. Aber eben nur ein Grund von vielen. Futter verwies auf Deutschland: Dort gebe es keine Engpässe, wie auch deutsche Einzelhändler jüngst in einer Umfrage der Deutschen Presse-Agentur bestätigten.
Branchenkenner werfen der britischen Regierung eine Kraut-und-Rüben-Politik vor. So habe sie die Gemüseproduzenten trotz steigender Strom- und Gaspreise nach Beginn des russischen Kriegs gegen die Ukraine von Energiesubventionen ausgeschlossen. Der Einsatz von Gewächshäusern zur Zucht etwa von Tomaten lohne sich deshalb im Winter nicht mehr. «Sie pflanzen hier nicht mehr so viele Sachen an, weil es unwirtschaftlich ist», sagte Adam Leyland, Chefredakteur des Branchenblatts «The Grocer», der BBC. Die Folge: Großbritannien importiert im Winter rund 95 Prozent der Tomaten. Doch nun kam nur ein Viertel der in Spanien oder Marokko bestellten Ware an.
Und dann noch die Sache mit dem Brexit
Experte Futter betonte, Einzelhändler würden den Herstellern viel zu wenig bezahlen. Das Modell mit Fixpreisen funktioniere eben nur bei niedriger Inflation. Doch zuletzt lag der Anstieg der Verbraucherpreise bei gut 10 Prozent, die Lebensmittelinflation war noch höher. Die «salad days» – die Salattage, wie die Tage der unbeschwerten Jugend auf Englisch heißen – seien vorbei, so Futter.
Hinzu kommt der Brexit. Auch wenn etwa Greg Hands, deutschsprachiger Generalsekretär der Konservativen Partei, kürzlich betonte, dass die Lebensmittelpreise in der Eurozone noch stärker gestiegen seien und die Engpässe nichts mit dem Brexit zu tun hätten – Experten sind anderer Ansicht. So fehlen britischen Produzenten die Saisonkräfte, die sonst aus EU-Ländern wie Rumänien zum Pflücken einreisten. Grund sind verschärfte Regeln für Arbeitskräfte nach dem EU-Austritt.
«Die Meldungen von der Insel beweisen den großen Vorteil des EU-Binnenmarktes für die sichere Versorgung mit Lebensmitteln in Deutschland», sagte Bauernverbandspräsident Joachim Rukwied der «Rheinischen Post» (Samstag). «Die bürokratischen und zeitaufwendigen Zollformalitäten schrecken viele Händler ab, und die knappe Ware bleibt auf dem Kontinent.» Pekka Pesonen vom EU-Bauernverband Copa-Cogeca sagte der «Financial Times»: «Wenn man genug bezahlt, wird es immer Quellen geben, aber ich weiß nicht, ob britische Einzelhändler bereit sind, extrem hohe Preise zu zahlen.»
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