In immer mehr Pubs in England ertönt zum letzten Mal die berühmte Glocke zur abschließenden Bestellung. «Last orders!», heißt es nicht nur für Tresengäste, sondern auch für die Kneipen selbst.
Die Zahl der Pubs in England und Wales ist im ersten Halbjahr auf unter 40.000 – genauer gesagt, auf 39.973 – gesunken, wie eine Analyse des Immobilienberaters Altus Group ergab. Das seien 7000 weniger als vor einem Jahrzehnt und vor allem: so wenige Lokale wie nie zuvor.
Pub-Sterben begann vor langer Zeit
Der starke Rückgang überrascht. Schließlich gelten Pubs als Seele der «community», der Gemeinden. Hier treffen sich Freunde und Familien zum Sonntagsbraten, dem Sunday Roast, hier gönnen sich Kollegen und Sportgruppen nach getaner Arbeit noch ein Pint oder vielleicht auch zwei.
Wer im Londoner Stadtzentrum an einem Donnerstagnachmittag ein Feierabendbier trinken will, braucht lange, um durch die Menschenmengen zur Theke durchzudringen. Eher gibt es in einem englischen Dorf eine Kneipe als eine Kirche oder einen Laden – so jedenfalls der Eindruck vieler Touristen. Auch für viele Besucher gehört ein Besuch im Pub zum Programm.
Doch die Zahlen zeichnen ein anderes Bild, ein ziemlich dramatisches. Das Pub-Sterben begann bereits vor langer Zeit, die Corona-Pandemie hat den Trend nur verstärkt. Die Gründe sind vielfältig: Das Rauchverbot, günstiger Alkohol im Supermarkt oder auch geändertes Trinkverhalten.
Zudem klagen Wirte über die Biersteuern, die zu den höchsten der Welt gehörten. Zuletzt wurden die Pubs auch von Streiks bei den britischen Bahnen getroffen, es waren weniger Pendler unterwegs, niemand bummelte durch die Innenstädte. Das habe ihn um 25 Prozent seiner Erlöse gebracht, sagte Clive Watson, Gründer der Londoner Kneipenkette City Pub Group.
Gestiegene Kosten ein großes Problem
Vor allem aber wird die Erholung von der Pandemie von der gewaltigen Inflation behindert, die auf den höchsten Stand seit Jahrzehnten gestiegen ist. Die Kosten für Energie und Waren sind explodiert.
Wie die Branchenverbände British Beer and Pub Association (BBPA), British Institute of Innkeeping und UK Hospitality ermittelten, arbeitet nur gut ein Drittel (37 Prozent) der Betriebe profitabel. «Als Branche haben wir gerade die härtesten zwei Jahre seit Menschengedenken überstanden und stehen nun vor der Herausforderung extrem steigender Kosten», sagte BBPA-Chefin Emma McClarkin.
Statt Pubs zu verpachten, lassen die Eigentümer sie zu Wohnungen oder Büroräumen umbauen. Die Flächen sind oft zentral gelegen und damit äußerst attraktiv. Allein seit Jahresende 2021 verschwanden nach Altus-Zahlen rund 200 Pubs in England und Wales.
Die Branche fordert nun erneut staatliche Hilfe – auch weil Corona-Unterstützung wie niedrigere Mehrwertsteuersätze und eingefrorene Gewerbeimmobiliensteuern endeten. «Es ist von zentraler Bedeutung, dass wir Erleichterungen erhalten, um diesen Druck zu verringern, oder wir riskieren, Jahr für Jahr noch mehr Pubs zu verlieren», sagte sie.
«Wenn Pubs gezwungen werden zu schließen, bedeutet dies einen enormen Verlust für die lokalen Gemeinden», sagte McClarkin. Auch die Denkfabrik Localis verwies bereits im Frühling 2021 auf die zentrale Rolle der Pubs für die Gemeinden. Für viele Menschen sei der Pub-Besuch eine Möglichkeit, ihre Wohnung zu verlassen und sich mit Freunden und Nachbarn zu treffen. Sprich: Einsamkeit und soziale Isolation würden vermieden. Gingen die Pubs vor allem auf dem Land verloren, könne dies den sozialen Kitt gefährden, warnte Localis.
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