Mit der Aufenthaltsmöglichkeit für Ausländer aufgrund berufspraktischer Erfahrung tritt heute ein Herzstück des Gesetzes zur Fachkräfteeinwanderung in Kraft.
«Fachkräfte mit Abschluss und Berufserfahrung können dann auch ohne vorheriges Anerkennungsverfahren einreisen und in Deutschland arbeiten», sagte Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) der Deutschen Presse-Agentur in Berlin. Innenministerin Nancy Faeser und Arbeitsminister Hubertus Heil (beide SPD) werteten den Schritt als einen wichtigen Baustein, um der Fachkräftelücke in Deutschland etwas entgegenzusetzen.
Berufserfahrung und Abschluss
Menschen aus Drittstaaten können künftig bereits dann in Deutschland arbeiten, wenn sie mindestens zwei Jahre Berufserfahrung und einen im Herkunftsland staatlich anerkannten Berufs- oder Hochschulabschluss haben. Sie müssen also noch keine in Deutschland anerkannte Ausbildung vorweisen. Das soll Bürokratie einsparen und Verfahren verkürzen. Das Arbeitsplatzangebot in Deutschland muss ein Bruttojahresgehalt von mindestens 40.770 Euro zusichern – bei Tarifbindung des Arbeitgebers genügt eine Entlohnung entsprechend des Tarifvertrags.
Anerkennungspartnerschaft
Wenn die Berufsqualifikation weiterhin anerkannt werden muss – wie etwa in vielen Gesundheits- und Pflegeberufen – und sich Fachkräfte und Arbeitgeber zu einer Anerkennungspartnerschaft verpflichten, dann kann das Verfahren künftig auch erst nach der Einreise nach Deutschland begonnen werden. Arbeitgeber und die angehende Fachkraft verpflichten sich dabei, nach der Einreise die Anerkennung zu beantragen und das Verfahren aktiv zu betreiben.
Die Arbeitnehmerin oder der Arbeitnehmer kann sich dabei in Deutschland nebenher nachqualifizieren oder schon arbeiten. Grundvoraussetzungen für die Anerkennungspartnerschaft sind ein Arbeitsvertrag und eine im Ausbildungsstaat anerkannte, mindestens zweijährige Berufsqualifikation oder ein Hochschulabschluss. Darüber hinaus sind deutsche Sprachkenntnisse auf Niveau A2 erforderlich.
Anstellung bis zu acht Monate
Zur Deckung von zeitweilig besonders hohem Arbeitskräftebedarf wird eine kontingentierte kurzzeitige Beschäftigung ermöglicht. «Für Arbeitgeber ist dies eine gute Möglichkeit, ausländische Fachkräfte anzuwerben und bis zu acht Monate einzustellen», so das Innen- und Arbeitsministerium. Voraussetzung ist, dass der Arbeitgeber tarifgebunden ist. Die Bundesagentur für Arbeit hat hierfür für das Jahr 2024 ein Kontingent von 25.000 festgelegt.
Leichter Jobben neben Studium
Auch in anderen Bereichen gibt es Änderungen. So können – angesichts der Engpässe im Pflegebereich – künftig auch qualifizierte Pflegehilfskräfte nach Deutschland kommen und hier arbeiten. Voraussetzung ist, dass die Ausbildung zur Pflegehilfskraft in Deutschland erworben oder anerkannt ist. Nicht-EU-Ausländer dürfen Nebenjobs ausüben und erhalten mehr Zeit, um ihre berufliche Qualifikation anerkennen zu lassen, wenn sie zu Bildungszwecken oder für Sprachkurse nach Deutschland kommen.
Ausländische Studierende und Auszubildende sollen leichter neben dem Studium oder der Studien- oder Ausbildungsplatzsuche jobben können. Bei der Berufsausbildung wird eine bestehende Vorrangprüfung abgeschafft. Ausbildungsbetriebe können damit ihre freien Ausbildungsplätze schneller besetzen. Für geduldete Personen, die ihren Lebensunterhalt sichern können, wird zudem eine Aufenthaltserlaubnis zur Berufsausbildung eingeführt.
Regierung zuversichtlich
Faeser sagte: «Wir sorgen dafür, dass die Fachkräfte in unser Land kommen können, die unsere Wirtschaft seit Jahren dringend braucht.» Stark-Watzinger betonte: «Der Fachkräftemangel ist eine der größten Herausforderungen, vor der wir stehen.» Mehr Fachkräfteeinwanderung solle organisiert werden. Heil meinte, zusammen mit einer starken Aus- und Weiterbildung und einer höheren Erwerbsbeteiligung von Frauen sowie älteren Beschäftigten sei der Fachkräftezuzug der richtige Weg, «um unser Potenzial als drittstärkste Volkswirtschaft voll auszuschöpfen und so auch unseren Wohlstand zu sichern».
Nachbesserungen gefordert
Dass Personen aus Drittstaaten künftig eine Beschäftigung in Deutschland aufnehmen können, ohne vorher Qualifikationen anerkennen lassen zu müssen, nannte der Migrationsexperte Martin Lange am ZEW Mannheim einen «einen Paradigmenwechsel in der Einwanderungspolitik».
Allerdings müsse ein «unverhältnismäßig hohes Einkommen» nachgewiesen werden. «Hier sollte die Bundesregierung nachbessern, um mehr Zuwanderung über diesen Kanal zu ermöglichen», so Lange. «Der große Wurf ist die Reform dennoch nicht, da die Einwanderung aus Drittstaaten viel attraktiver gestaltet werden müsste: Administrative Hürden und hohe Verdienstschwellen müssen abgebaut werden», forderte Lange.
Kritik an unzureichendem Spurwechsel
Die erste Stufe der neuen Regelungen für die Fachkräfteeinwanderung traten bereits im November 2023 in Kraft. Sie umfasste vor allem Erleichterungen bei der «Blauen Karte EU» und bei anerkannten Fachkräften. Die dritte Stufe, unter anderem mit einer neuen Chancenkarte zur Jobsuche, folgt zum 1. Juni 2024.
Die Flüchtlingsorganisation Pro Asyl bemängelte den aus ihrer Sicht unzureichenden sogenannten Spurwechsel. Im Dezember wurde eingeführt, dass bei Rücknahme eines Asylantrags die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis als Fachkraft für Asylbewerber in Deutschland möglich wird.
«Um zu einer wirkungsvollen Umsetzung dieses Schritts zu kommen, müssen die Kapazitäten der Ausländerbehörden ausgebaut werden», sagte der flüchtlingspolitische Sprecher von Pro Asyl, Tareq Alaows. Außerdem müssten Bildungszertifikate schneller anerkannt werden. «Solange die Regelung nicht entsprechend vervollständigt wird, erwarten wir keine großen Auswirkungen.»
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