21. November 2024

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Mit Lebensmittelabfällen zu «grünem Kerosin»

Klimaneutrale Flugreisen gibt es nicht. Zumindest noch nicht. Aber die Branche strengt sich an, grünen Kraftstoff zu entwickeln.

Da, wo die Revolution im Luftverkehr startet, landet kein Flieger. Vielmehr riecht es recht deutlich nach Landwirtschaft.

Dichtgewachsene Maisfelder umschließen eine Biogasanlage im nördlichen Emsland bei Werlte, rund 60 Kilometer von Oldenburg entfernt. Aber hier sind die Bedingungen ideal, um klimaneutralen Flugzeugtreibstoff herzustellen. Am Montag soll die Anlage offiziell in Betrieb genommen werden. Dabei sind der Kieler Klimaforscher Mojib Latif und Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD).

«Ich musste lange suchen, um einen geeigneten Standort zu finden», sagt Dietrich Brockhagen, Geschäftsführer der Atmosfair gGmbh, einer gemeinnützigen Klimaschutzorganisation aus Berlin. Der ideale Standort ist also hier, in der niedersächsischen Provinz – wo Biogasanlagen und Windkrafträder fast an jeder Kreuzung stehen.

«Von der Biogasanlage brauchen wir nur das Kohlendioxid», sagt Brockhagen. Zu dem Gas kommt Wasserstoff, das mit Windstrom hergestellt wird. Wasserstoff und Kohlendioxid werden in der Anlage, die hinter der Biogasanlage des Partners und regionalen Energieversorgers EWE gebaut wurde, über chemische Prozesse zu Rohkerosin verarbeitet. Zum Flugtreibstoff Jet A1 wird es in der Raffinerie Heide nördlich von Hamburg weiterverarbeitet, die es an den Hamburger Flughafen liefert.

Abfälle aus der Lebensmittelindustrie

Damit es keinen Konflikt um Tank oder Teller gibt, wollte Brockhagen eine Biogasanlage, die Abfälle verarbeitet, keinen eigens angebauten Mais oder andere Pflanzen. Hier werden Abfälle der Lebensmittelindustrie aus der Region verarbeitet.

Auch der Strom aus der Windkraftanlage nehme niemandem etwas weg, denn die alten Windräder seien längst aus der Förderung nach dem Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) herausgefallen. «Jetzt bekommen die Betreiber das Geld von uns», sagt Brockhagen. Die Herstellung des Wasserstoffs gehe damit nicht auf Kosten der Energiewende.

Außerdem gibt es auf dem Gelände eine Anlage, die Kohlendioxid aus der Luft herauszieht. Das sei das eigentliche Ziel: Das CO2 nicht aus eigens angebauten Pflanzen oder aus der Industrie – etwa aus Zement- oder Stahlwerken – zu beziehen, sondern neutral zu wirtschaften. Nur jenes CO2 soll hinterher in der Atmosphäre landen, was ihr vorher entnommen wurde, erklärt Brockhagen.

Lösung für die Luftfahrtbranche?

Das E-Kerosin soll der Luftfahrtbranche aus der Klemme helfen. Denn Flugzeuge können nicht auf flüssigen Treibstoff verzichten und auf Elektroantriebe umsteigen. Gleichzeitig muss sich aber auch die Luftfahrt auf den Weg zur Klimaneutralität machen. Nach Berechnungen des Deutschen Luft- und Raumfahrtzentrums beträgt der Anteil der Luftfahrt am menschengemachten Klimawandel 3,5 Prozent. Also sucht die Branche klimaneutralen Treibstoff.

Für Schulze muss auch der Luftverkehr einen Beitrag leisten, damit Deutschland bis 2045 Klimaneutralität erreiche: «Mit den richtigen Rahmenbedingungen finden strombasierte flüssige Flugkraftstoffe jetzt den Weg aus dem Labor in den Markt.» Für Deutschland und Partner biete die Technologie wirtschaftliche Chancen. «Deutschland ist führend im Anlagenbau, andere Länder haben viel Wind und Sonne. Wenn wir jetzt zeigen, dass diese Technologie funktioniert, schafft das auch neue Exportchancen für den Anlagenbau», sagt die Ministerin.

Greenpeace: Nicht die alleinige Lösung

Die Umweltorganisation Greenpeace begrüße die Anlage im Emsland grundsätzlich, sagt Sprecher Gregor Kessler. Um allein das in Deutschland 2018 vertankte Flugbenzin durch synthetisches Kerosin zu ersetzen, wäre die gesamte deutsche Jahresproduktion an Windstrom nötig gewesen. «Damit die E-Fuels-Pläne aufgehen, brauchen wir einen Ausbauturbo für die Erneuerbaren», sagt Kessler.

Allerdings könne E-Kerosin allein das Klimaproblem der Airlines nicht lösen. Zwei Drittel des Klimaschadens eines Flugs entstehen laut Kessler durch Kondensstreifen in großer Höhe. Deshalb müsse die Zahl der Flüge insgesamt sinken. Kurzflüge innerhalb Deutschlands und auf kürzeren europäischen Strecken sollten daher so schnell wie möglich durch ein Netz von Schnellzügen ersetzt werden.

Die Lufthansa ist Pilotkundin für den Treibstoff. Aktuell sei das Unternehmen der größte Abnehmer nachhaltiger Flugkraftstoffe (SAF) in Europa, sagt Christina Foerster vom Konzernvorstand. Synthetische Kraftstoffe aus erneuerbaren Energien seien das Kerosin der Zukunft und ermöglichten CO2-neutralen Luftverkehr. Mit dem Bezug des E-Kerosins wolle Lufthansa der Herstellung und Produktion «wichtigen Rückenwind» geben. Derzeit verwende die Lufthansa Biokraftstoffe, die aus alten Speiseölen oder landwirtschaftlichen Abfällen hergestellt werden.

Synthetisch erzeugtes Kerosin verspreche die höchsten Einsparungen an Treibhausgasemissionen und müsse deshalb durch den angedachten Produktionshochlauf und langfristig verlässliche Rahmenbedingungen wirtschaftlich attraktiv gemacht werden, betont auch Melanie Form, Leiterin der Geschäftsstelle der Aviation Initiative for Renewable Energy in Germany e.V. (aireg). Das Projekt brauche daher Nachahmer.

Auch für die Schifffahrt denkbar

Bislang gibt es die Produktion von synthetischem Flugtreibstoff nur in kleinem Maßstab. Die Anlage im Emsland sei da schon ein gewaltiger Sprung nach vorn, sagt Brockhagen. Erstmals werde nämlich synthetisches Kerosin in industriellem Maßstab hergestellt. Allerdings ist auch sie nur ein kleiner Tropfen in einem riesigen Fass: Sie wird 8 Fässer Kerosin am Tag herstellen können, das entspricht einer Tonne Treibstoff. Aber allein ein Airbus A 350 verbrauche 5 Tonnen Kerosin pro Flugstunde, erklärt Brockhagen.

Anlagen zur Herstellung synthetischen Kerosins sollten am besten in südlichen Ländern gebaut werden. Dort seien die Energiekosten niedrig. Atmosfair unterstütze Projekte im Sinne einer Partnerschaft und des Technologietransfers. «Wenn wir etwa in Äthiopien 10 Megawatt Strom für die Anlage erzeugen, wollen wir nochmals extra 10 Megawatt für die Menschen dort abgeben», sagt Brockhagen.

Prinzipiell sei die Herstellung synthetischen, klimaneutralen Treibstoffes auch für die Schifffahrt denkbar. «Was aber keinen Sinn macht, sind E-Fuels fürs Auto», erklärt der Atmosfair-Chef. Hier seien Elektrofahrzeuge als Technologie gesetzt und deutlich effizienter als Verbrenner.

Von Elmar Stephan, dpa