Das Städtchen Wilster in Schleswig-Holstein und das norwegische Dorf Tonstad stehen eher selten im Rampenlicht. Für die Energiewende in Europa sind sie aber so etwas wie Hotspots: Zwischen beiden Orten verläuft «Nordlink», eines der weltweit längsten Seekabel.
Es verknüpft erstmals die Stromnetze von Deutschland und Norwegen miteinander. Der Netzbetreiber Tennet spricht von einem «Leuchtturmprojekt der Energiewende», die deutsche Förderbank KfW von einem «technologisch einzigartigen Projekt». Am Donnerstag wird die rund zwei Milliarden Euro teure «Stromautobahn» von Bundeskanzlerin Angela Merkel und Norwegens Ministerpräsidentin Erna Solberg offiziell eröffnet.
Worum geht es generell bei der Energiewende?
Die Energieversorgung der Bundesrepublik steckt mitten in einem historischen Umbruch. Der baldige Ausstieg aus der Atomenergie ist beschlossen. Zudem erzwingt der Klimawandel eine rasche Reduzierung des CO2-Ausstoßes, das als Treibhausgas gilt. Erhöht hat sich der Druck noch durch das jüngste Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Klimapolitik. Die Bundesregierung hat unter diesem Druck vor wenigen Tagen ein neues Klimaschutzgesetz mit ehrgeizigeren Zielen auf den Weg gebracht. Danach soll Deutschland 2045 nur noch so viele klimaschädliche Gase ausstoßen, wie wieder gebunden werden können – fünf Jahre früher als geplant. Für die Stromerzeugung heißt das: Weg von den fossilen Brennstoffen Kohle und Gas, hin zu «grünem Strom» zum Beispiel aus Sonne, Biomasse – und vor allem Wind. Schon heute wird in Deutschland mehr Strom aus Wind (2020: 25,6 Prozent) als aus Kohle (24,8 Prozent) gewonnen.
Welche Rolle spielen Stromtrassen dabei?
Neue Stromtrassen sind nötig, um den «grünen Strom» aus dem Norden in den Süden der Republik zu transportieren. Damit sind sie gewissermaßen das Rückgrat der Energiewende. Der 623 Kilometer lange Nordlink von Deutschland nach Norwegen ist die erste dieser dicken Schlagadern, die in Betrieb gegangen ist. Vier große Trassen sind noch in der Planung. «Suedlink» führt von Schleswig-Holstein nach Baden-Württemberg, «Suedostlink» von Sachsen-Anhalt nach Bayern, «Ultranet» soll Emden mit Baden-Württemberg verbinden und der «B-Korridor» Schleswig-Holstein mit Nordrhein-Westfalen.
Der Ausbau ist aber noch lange nicht am Ziel. Immer wieder gab es Klagen und Gerichtsverfahren, Streit um Standorte etwa von Konvertern und Umspannwerken. Umstritten ist auch der Verlauf der Trassen und die Frage, ob die Trassen als Freileitung oder Erdkabel gebaut werden sollen. All das verzögert immer wieder den Ausbau. Für die Bundesnetzagentur steht zudem fest, dass mit dem neuen Klimagesetz zusätzlicher Bedarf an Stromtransport entsteht.
Warum ist die Anbindung an Norwegen wichtig?
Norwegen ist aus deutscher Sicht interessant, weil es seinen Strom fast ausschließlich aus Wasserkraft gewinnt. Damit bietet sich für Deutschland eine zusätzliche Option, an «grünen Strom» zu kommen. Schließlich ist Strom aus Wind und Sonne je nach Wetter auch mal weniger verfügbar. Fachleute sprechen von «Dunkelflaute»: Strom aus Norwegens Wasser kann in solchen Situationen für Ausgleich sorgen.
Im Gegenzug kann Windstrom in Norwegen «geparkt» werden, statt Windräder abzuschalten, wenn diese zu viel Strom produzieren. «Wenn beispielsweise in Deutschland ein Überschuss an Windenergie erzeugt wird, kann dieser über „NordLink“ nach Norwegen übertragen werden», erklärt der Netzbetreiber Tennet das Prinzip. «Die Wasserspeicher in Norwegen dienen dann als „natürliche Speicher“ für die Windenergie, indem das Wasser in den Speichern verbleibt.»
Was hat Norwegen davon?
Norwegen verspricht sich im Gegenzug mehr Versorgungssicherheit für den Fall, dass die Stauseen in regenarmen Jahren nur wenig gefüllt sind. Angestoßen wurde «Nordlink» vor etwa zehn Jahren von einer Trockenperiode, wie die deutsche Förderbank KfW berichtet. «Damals hatten wir hier in Norwegen eine recht kritische Situation», zitiert die KfW den Projektleiter des norwegischen Netzbetreibers Statnett. «Es hatte im Herbst kaum Niederschlag gegeben, im Winter waren die Stauseen fast leer. Wir mussten Strom importieren, wodurch die Energiepreise nach oben gingen.» Neben «Nordlink» gibt es bereits eine Stromtrasse zwischen Norwegen und den Niederlanden («NorNed»). Im Bau ist zudem eine vergleichbare Stromautobahn, die von Norwegen durch die Nordsee nach Großbritannien führt.
Wie profitieren Verbraucher?
Neben der Versorgungssicherheit und der Förderung der Energiewende steht eine weitere Idee: Die EU hat sich vorgenommen, den Strommarkt in Europa so zu integrieren, dass ohne große Hindernisse grenzüberschreitend mit Strom gehandelt werden kann. Norwegen ist zwar kein EU-Mitglied, über den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) aber in den Europäischen Binnenmarkt eingebunden. «Wenn die Preise in Deutschland höher als in Norwegen sind, weil Windkraftanlagen und Solarzellen nur wenig Strom produzieren, kann über „Nordlink“ Energie aus norwegischer Wasserkraft importiert werden», so Tennet. «Dabei profitieren die Verbraucher vom positiven Effekt auf die Strompreise durch den Import von Energie aus preisgünstiger Wasserkraft.»
Wie sind die technischen Details von «Nordlink»?
Die Trasse verläuft über 516 Kilometer in deutschen, dänischen und norwegischen Gewässern am Grund der Nordsee. Auf deutscher Seite erreicht das Seekabel das Festland am Deich nördlich von Büsum. Von dort geht es weiter als 54 Kilometer langes Erdkabel quer durch den Kreis Dithmarschen und unter dem Nord-Ostsee-Kanal hindurch nach Nortorf bei Wilster im Kreis Steinburg. Dort befindet sich eine der beiden sogenannten Konverterstationen. Die andere Konverterstation liegt im norwegischen Tonstad. Sie ist über eine 53 Kilometer lange Hochspannungsfreileitung mit dem Seekabel verbunden. Um Übertragungsverluste auf der langen Strecke zu vermeiden, fließt der Strom als 525-Kilovolt-Gleichstrom. An den Konverterstationen wird der Strom von Gleich- in Wechselstrom beziehungsweise von Wechsel- in Gleichstrom umgewandelt – je nach Übertragungsrichtung. Die Kapazität des Kabels wird mit 1400 Megawatt angegeben. Damit können laut Tennet mehr als 3,6 Millionen Haushalte mit Strom versorgt werden.
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