Nach einem starken Start ins Jahr hat Chinas Wirtschaft deutlich an Schwung verloren. Die Lockdowns und andere Einschränkungen durch die strikte Null-Covid-Strategie bremsen die zweitgrößte Volkswirtschaft so spürbar ab, dass Konjunkturmaßnahmen erforderlich werden könnten.
Dank eines starken Januars und Februars stieg das Wachstum im ersten Quartal zwar mit 4,8 Prozent noch unerwartet stark an, doch kühlte sich die Konjunktur im März schon wieder ab. «Der wirtschaftliche Abwärtsdruck hat zugenommen», sagte der Sprecher des Statistikamtes, Fu Linghui, in Peking.
«Seit März hat sich die Lage in der Welt kompliziert entwickelt», meinte der Sprecher. «Einige Faktoren lagen über den Erwartungen.» Die Probleme chinesischer Unternehmen hätten zugenommen. Die Logistik sei beeinträchtigt. Nachlassender Konsum hat die Einzelhandelsumsätze im März stark um 3,5 Prozent im Vergleich zum Vorjahresmonat fallen lassen. So wird fraglich, ob die Regierung ihr Wachstumsziel von 5,5 Prozent in diesem Jahr erreichen kann. Im vergangenen Jahr waren noch starke 8,1 Prozent erzielt worden, was aber an der niedrigen Vergleichsbasis durch die Pandemie im Vorjahr lag.
«Die chinesische Wirtschaft sieht nach der starken wirtschaftlichen Erholung im vergangenen Jahr erstaunlich fragil aus», sagte Max Zenglein vom China-Institut Merics in Berlin. «Ohne ein massives Konjunkturpaket sehen die Aussichten 2022 düster aus.» Die strikte Covid-Politik werde «den ohnehin strauchelnden Konsum auf absehbare Zeit weiter abwürgen». Die Exporte als wichtige Wachstumsstütze dürften auch ausfallen, da die höhere Inflation durch den Ukraine-Krieg die Kaufkraft in wichtigen Exportmärkten reduziere.
Auch mit Blick auf den Parteitag im Herbst, auf dem sich Staats- und Parteichef Xi Jinping im Amt bestätigen lassen will, sagte Zenglein, es sei ein «politisch hoch brisantes Jahr». Die hohe Wachstumsvorgabe ziele besonders auf Stabilität am Arbeitsmarkt. Eine Rekordzahl von knapp 11 Millionen Universitätsabsolventen müsse absorbiert werden. «Chinas Regierung wird das Konjunkturpaket ausweiten müssen und verstärkt auf Infrastrukturprogramme und Staatsbetriebe setzen, um das Wachstum zu stabilisieren», sagte Zenglein. «Verschuldung und Risiken im Finanzsystem dürfen damit wieder zunehmen.»
Mit der Ankunft von Omikron BA.2 erlebt China gerade die größte Corona-Welle seit Beginn der Pandemie vor mehr als zwei Jahren. In Shanghai, dem Wirtschafts- und Finanzzentrum des Landes, und anderen Metropolen herrschen Ausgangssperren. Zig-Millionen Menschen können ihre Wohnungen nicht verlassen. Die strikten Corona-Maßnahmen wie auch das langsamere Wachstum treffen auch deutsche Unternehmen. Einige mussten ihre Produktion wochenlang stilllegen oder klagen über Transportprobleme. Deutsche Exporteure mussten im März im Handel mit China ein Minus von 9,8 Prozent hinnehmen.
Das unerwartet starke Wachstum im ersten Quartal «scheint bislang kaum den Krieg in der Ukraine und die derzeitigen Covid-Ausbrüche in China widerzuspiegeln», sagte Jens Hildebrandt, Geschäftsführendes Vorstandsmitglied der Deutschen Handelskammer in China (AHK). Inzwischen habe der Binnenkonsum aber «besorgniserregend» abgenommen. Was die Außenhandelszahlen bereits signalisiert hätten, gelte auch für das Wachstum: Ob das für das Gesamtjahr angestrebte Ziel von 5,5 Prozent noch realistisch sei, «scheint mehr als fraglich».
Auch Experten von Oxford Economics zeigten sich überrascht über die noch starken Quartals-Zahlen: «Wir glauben, dass es vor allem das Wachstum widerspiegelt, das die offiziellen Daten für Januar und Februar zeigen, bevor sich die wirtschaftlichen Aktivitäten im März abschwächten.» Die Beeinträchtigungen dürften noch Wochen andauern.
Um die Konjunktur anzukurbeln, hatte die Zentralbank am Freitag bereits angekündigt, die Anforderungen für die Mindestreserven der Banken leicht zu senken. Damit sollen der Wirtschaft langfristig rund 530 Milliarden Yuan (76 Milliarden Euro) an Liquidität zugeführt werden. Allerdings war die Zentralbank nicht weiter gegangen und hatte die Zinsen nicht erhöht. Alle blicken jetzt auf die Regierung, die größere Konjunkturmaßnahmen ankündigen könnte.
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