Verbraucherinnen und Verbraucher müssen sich vorerst weiter auf eine hohe Inflation einstellen. Zwar dürfte der Höhepunkt der Inflationswelle mittlerweile erreicht sein, sagte der Konjunkturchef des ifo-Instituts, Timo Wollmershäuser, am Mittwoch in Berlin. Allerdings werde ein merklicher Rückgang des Anstiegs der Verbraucherpreise noch etwas auf sich warten lassen. Damit rechnen führende Forschungsinstitute erst im kommenden Jahr.
Die Institute sehen aber wie zuvor die Bundesregierung und die «Wirtschaftsweisen» eine bessere wirtschaftliche Lage in Deutschland. Im laufenden Jahr rechnen die vier Institute mit einem Mini-Wachstum des Bruttoinlandsprodukts um 0,3 Prozent. Noch im Herbst hatten sie einen Rückgang um 0,4 Prozent und eine drohende Rezession erwartet.
«Der konjunkturelle Rückschlag im Winterhalbjahr dürfte glimpflicher ausgefallen sein, als im Herbst befürchtet», so Wollmershäuser. Maßgeblich sei ein geringerer Kaufkraftentzug infolge deutlich rückläufiger Energiepreise. Doch es gibt auch trübe Aussichten
Entwicklung der Inflation
Nach der Prognose der Institute bleibt die Inflationsrate im Jahr 2023 mit durchschnittlich 6 Prozent relativ hoch und nur wenig niedriger als im Vorjahr mit 6,9 Prozent. Erst im kommenden Jahr soll sie dann spürbar sinken und auf 2,4 Prozent fallen – vor allem wegen rückläufiger Energiepreise. Die hohen Preisanstiege bringen Kaufkraftverluste mit sich. Die Institute rechnen damit, dass die Konsumkonjunktur ab dem zweiten Halbjahr wieder positiv zum Wirtschaftswachstum beitragen dürfte. Staatliche Entlastungsmaßnahmen und erwartete Lohnsteigerungen stärkten die Binnennachfrage.
Ein «Wirtschaftswunder» bleibt aus
Vergangenen Monat verkündete Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), wegen der hohen Investitionen in den Klimaschutz seien hohe Wachstumsraten wie zu Zeiten des «Wirtschaftswunders» in den 1950er und 1960er Jahren zu erwarten. Die Konjunkturforscher aber warnten vor einer Illusion. Im Gegenteil seien die Wachstumsaussichten mittelfristig eher mau. Die deutsche Wirtschaft gleiche eher dem Tempo einer Pferdekutsche, bei dem die Zahl der Zugtiere zurückgehe, sagte Stefan Kooths vom Institut für Weltwirtschaft in Kiel mit Blick auf den Mangel an Fachkräften. Für das kommende Jahr erwarten die Institute ein Wachstum um 1,5 Prozent.
Angespannte Lage auf dem Immobilienmarkt
Die Bauwirtschaft und vor allem der Wohnungsbau sind stark von der Zinswende getroffen. Immobilienkredite haben sich verteuert. Eine «Kreditklemme» sehen die Institute noch nicht, es gebe aber Risiken. Die Institute gehen davon aus, dass sich die Finanzierungsbedingungen für Unternehmen und private Haushalte verschlechtern. Überhöhte Immobilienpreise, die sich im Zuge der langjährigen Niedrigzinsphase herausgebildet haben, stehen nun laut Prognose vor einer Korrektur. Bevor diese aber in der Breite vollzogen sei, werde sich die Nachfrage nach Bauleistungen kaum wieder beleben. Um einem Einbruch im Wohnungsbau entgegenzuwirken, schlagen die Institute vor, die Grunderwerbsteuer merklich zu senken.
Gute Signale am Arbeitsmarkt
Gute Nachrichten haben die Institute für den Arbeitsmarkt. Die Zahl der Erwerbstätigen dürfte weiter zunehmen, von 45,6 Millionen im Jahr 2022 auf 45,9 Millionen im Jahr 2023 und 46,0 Millionen im Jahr 2024. Die Zahl der Arbeitslosen steigt zwar laut Prognose in diesem Jahr vorübergehend von 2,42 auf 2,48 Millionen, da die ukrainischen Flüchtlinge nicht sofort auf dem Arbeitsmarkt Fuß fassten. Im kommenden Jahr dürfte die Arbeitslosigkeit dann aber wieder auf 2,41 Millionen Personen sinken.
Einschätzung der Wirtschaft
«Mit einem raschen Aufschwung ist nicht zu rechnen», kommentierte der Hauptgeschäftsführer der Deutschen Industrie- und Handelskammer, Martin Wansleben. Die Wirtschaft steuere auf eine Stagnation zu. Im Inland gebe es eine Investitionsschwäche. Die Unternehmen brauchten steuerliche Entlastungen, außerdem müsse unnötige Bürokratie abgebaut werden.
Die Bundesregierung legt ihre Frühjahrsprognose Ende April vor. Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) sieht eine Stabilisierung der Lage trotz enormer Belastungen und Unsicherheiten durch den russischen Angriffskrieg in der Ukraine und der Energiekrise. «Deutschland hat die extremen Herausforderungen gemeistert; es hat gezeigt, was es kann und was möglich ist, wenn wir gemeinsam und entschlossen handeln. Mit dieser Entschlossenheit müssen wir auch im Jahr 2023 agieren.»
Die sogenannte Gemeinschaftsdiagnose wird von vier Instituten zweimal im Jahr erstellt, im Frühjahr sowie im Herbst. Beteiligt sind das Ifo-Institut, das Kiel Institut für Weltwirtschaft, das Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung Halle und das RWI – Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung Essen.
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