Nur sechs Tage nach der Wiederaufnahme der Gasversorgung aus Russland durch die Pipeline Nord Stream 1 soll die Liefermenge halbiert werden. Der russische Konzern Gazprom will die Gasmenge an diesem Mittwoch von 40 Prozent auf 20 Prozent der maximalen Kapazität senken.
Es sollen dann nur noch 33 Millionen Kubikmeter Gas täglich durch die wichtigste Versorgungsleitung nach Deutschland fließen, teilte das Unternehmen am Montag mit. Grund sei die Reparatur einer weiteren Turbine, hieß es. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) äußerte scharfe Kritik an Kremlchef Wladimir Putin.
Putin hatte in der vergangenen Woche angedroht, dass es um den 26. Juli herum zu einer weiteren Drosselung der Gaslieferungen über Nord Stream 1 kommen könnte. Er hatte dabei auf vom russischen Energieunternehmen verwendete Turbinen verwiesen.
Demnach sei eine Drosselung möglich, wenn eine in Kanada reparierte Turbine nicht rechtzeitig wieder zur Verfügung stehe. Außerdem werde die Reparatur eines «weiteren Aggregats» nötig, sagte Putin damals.
Reaktion der Bundesregierung
«Putin spielt ein perfides Spiel», sagte Habeck der Deutschen Presse-Agentur. Seine Strategie sei durchsichtig. «Er versucht, die große Unterstützung für die Ukraine zu schwächen und einen Keil in unsere Gesellschaft zu treiben. Dafür schürt er Unsicherheit und treibt die Preise. Dem setzen wir Geschlossenheit und konzentriertes Handeln entgegen.»
Verwirrspiel um die Gasturbine
Erst am Donnerstag waren die Gaslieferungen über die derzeit wichtigste Verbindung nach Deutschland für russisches Erdgas nach einer zehntägigen Routinewartung wieder aufgenommen worden. Schon im Juni hatte Gazprom die Lieferungen über die Pipeline auf 40 Prozent der Maximalkapazität gedrosselt und auf eine zur Reparatur nach Kanada verschickte Turbine verwiesen.
Die Turbine von Siemens Energy steckte wegen der westlichen Sanktionen infolge des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine zunächst in Kanada fest. Inzwischen ist sie auf dem Rückweg von Kanada über Deutschland nach Russland. Unklar blieb, wo genau sie sich zuletzt befand.
«Es gibt keine technischen Gründe für die Lieferkürzungen», so Habeck. «Die Turbine steht zur Auslieferung an Russland bereit.» Die Ausfuhrdokumente von Siemens Energy lägen vollständig vor, aber Russland verweigere die Ausstellung der Einfuhrdokumente. «Russland bricht Verträge und gibt anderen die Schuld.»
Ein Sprecher von Siemens Energy sagte, der Transport der Turbine sei vorbereitet und könnte sofort starten. «Siemens Energy hatte bereits Anfang letzter Woche alle erforderlichen Dokumente für die Ausfuhr von Deutschland nach Russland vorliegen und Gazprom darüber auch informiert. Was allerdings fehlt, sind erforderliche Zolldokumente für den Import nach Russland. Diese Informationen können nur vom Kunden bereitgestellt werden.» Die Wartung der Turbinen sei und bleibe ein Routinevorgang. «In den letzten zehn Jahren gab es keine wesentlichen Komplikationen.»
Die aktuelle Genehmigung der kanadischen Regierung sehe auch vor, dass weitere Turbinen von Siemens Energy in Montreal gewartet und anschließend ausgeführt werden könnten, so der Sprecher. Das Unternehmen sehe daher zum jetzigen Zeitpunkt keinen Zusammenhang zwischen der Turbine und den durchgeführten beziehungsweise angekündigten Gasdrosselungen.
Gaspreis an der Börse steigt
Der europäische Börsenhandel reagierte auf die Ankündigung von niedrigeren Liefermengen aus Russland sofort. Der Erdgas-Preis ging nach oben. Der als richtungweisend geltende Terminkontrakt TTF an der Energiebörse in den Niederlanden wurde mit bis zu 175 Euro je Megawattstunde gehandelt. Das ist ein Plus von 7,7 Prozent im Vergleich zu Freitag. Der Energieexperte Florian Starck vom Preisportal Check24 rechnet mit weiter steigenden Gaspreisen an den Börsen. Denn die Nachfrage nach Gas sei relativ konstant, und nun müsse für den Ausfall von russischem Gas Ersatz besorgt werden.
Netzagentur warnt vor den Folgen – stärkere Vorsorge
Kurzfristig ist der Gasbedarf in Deutschland gedeckt. Längerfristig könnte es eng werden. Der Chef der Bundesnetzagentur Klaus Müller warnte unlängst: «Auch bei einem Niveau von 40 Prozent müssen wir erhebliche Anstrengungen unternehmen, um gut über den ersten Winter zu kommen.» Kommen nur noch 20 Prozent der Maximalkapazität aus der Pipeline, wird die Ersatzbeschaffung entsprechend dringlicher. Vor allem das Auffüllen der Gasspeicher könnte ein Problem werden.
Die Bundesregierung hat einen Speicherfüllstand von mindestens 95 Prozent zum 1. November als Ziel ausgegeben. Das sei unrealistisch, selbst wenn durch die Pipeline 40 Prozent der Lieferkapazität fließe, sagte Müller am Montag bei einem Krisengipfel der baden-württembergischen Landesregierung. Im besten Fall seien maximal 80 bis 85 Prozent möglich. Bleibt es bei der Halbierung der Gaslieferung, dürfte auch dieses Ziel nur schwer zu erreichen sein.
«Wir treffen Vorsorge, damit wir durch den Winter kommen», sagte Habeck. Er hatte in der vergangenen Woche ein neues Energiesicherungspaket angekündigt. «Vom Bau einer LNG-Infrastruktur in extrem hohen Tempo über die Befüllung der Speicher bis zur Senkung des Verbrauchs – daran arbeiten wir mit ganzer Kraft. Es ist klar: Der Gasverbrauch muss runter, die Speicher müssen voll werden. Die Bundesregierung tut dafür, was immer nötig ist.»
Der Energieexperte beim Verband der Chemischen Industrie, Jörg Rothermel, sagte dem Redaktionsnetzwerk Deutschland: «Die weitere Reduzierung der Gaslieferungen auf 20 Prozent erhöht das Risiko, dass uns im Winter Gas fehlen wird, weil wir große Schwierigkeiten haben werden, unsere Speicher zu füllen.» Da seine eine Unsicherheit, «mit der wir derzeit leben müssen. Niemand weiß, wie sich die Situation entwickelt.» Umso wichtiger sei es, «dass wir schnellstmöglich die Maßnahmen umsetzen, die uns unabhängiger von russischen Gaslieferungen machen. Das sind schwimmende LNG-Terminals, der Ersatz der Gasverstromung durch Kohle sowie das geplante Auktionsmodell.»
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