21. November 2024

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Schnellerer Kohleausstieg im Westen

Kurz vor der Landtagswahl in Niedersachsen ist es eine Überraschung: Grün-geführte Ministerien im Bund und in NRW vereinbaren ein Kohlepaket mit dem Energiekonzern RWE. Ist das letzte Wort gesprochen?

Der Kohleausstieg im Rheinischen Revier in Nordrhein-Westfalen soll um acht Jahre auf das Jahr 2030 vorgezogen werden. Angesichts der aktuellen Energiekrise sollen zugleich zwei Braunkohlekraftwerke länger als bisher geplant laufen.

Die Siedlung Lützerath, die ein Symbol für die Klimaschutzbewegung ist, soll abgerissen werden, um dort Kohle zu fördern. Das sind Eckpunkte einer am Dienstag vorgelegten Vereinbarung zwischen dem Bundeswirtschaftsministerium, dem NRW-Wirtschaftsministerium und dem Energiekonzern RWE.

Was konkret geplant ist

Die Vereinbarung sieht vor, dass die RWE-Kohlekraftwerke Neurath F und G sowie Niederaußem K mit insgesamt 3000 Megawatt bereits Ende März 2030 vom Netz gehen. Laut geltendem Gesetz ist das bisher bis Ende 2038 vorgesehen.

Um angesichts der Energiepreiskrise in der Stromerzeugung kurzfristig Gas zu sparen, soll stärker Braunkohle genutzt werden. Die Kraftwerksblöcke Neurath D und E, die eigentlich bis Ende 2022 abgeschaltet werden sollten, sollen nun bis Ende März 2024 in Betrieb bleiben – mit der Option auf ein weiteres Jahr. In der Energiekrise sind bereits Steinkohle- und Braunkohlekraftwerke aus der Reserve geholt worden. Um die Energiewende zu beschleunigen, will RWE neue, wasserstofffähige Gaskraftwerke bauen.

Der beschleunigte Kohleausstieg soll nicht zulasten der Beschäftigten gehen. «Uns war wichtig, dass auch der Bund zugesichert hat, die gesetzlichen Regelungen so anzupassen, dass niemand ins Bergfreie fällt», so RWE-Chef Markus Krebber. Der Vorsitzende der Bergbaugewerkschaft IG BCE, Michael Vassiliadis, sagte: «Wir werden dafür sorgen, dass Bund und Konzern von den Zusicherungen kein Jota abweichen.»

Bundeswirtschafts- und Klimaschutzminister Robert Habeck (Grüne) sagte, man rede auch mit den Betreibern der Kraftwerke in den ostdeutschen Braunkohlerevieren über einen früheren Ausstieg. Staatssekretär Michael Kellner sagte: «Jetzt gilt es, auch in Ostdeutschland das Ausstiegsziel 2030 anzupeilen.» Das aber ist im Osten umstritten.

Was die Pläne für den Klimaschutz bedeuten

Habeck musste in der Energiekrise die für die Grünen schmerzhafte Nachricht verkünden, dass klimaschädliche Kohlekraftwerke aus der Reserve geholt werden. Auch zwei Atomkraftwerke sollen länger als geplant laufen, und zwar bis ins erste Quartal 2023. Das Paket mit RWE wurde nun von den Grünen als ein großer Schritt hin zu mehr Klimaschutz bewertet. Die Energiepreiskrise drohte zuletzt den Klimaschutz als Kernthema der Grünen zu überschatten.

Trotz der gegenwärtigen Energiekrise gehe es darum, die Weichen für die Zukunft zu stellen, sagte Habeck mit Blick auf den Klimawandel. Durch den geplanten früheren Braunkohleausstieg im Rheinischen Revier werden laut Ministerium rund 280 Millionen Tonnen CO2 nicht mehr emittiert. Ursprünglich sei mit dem Kohleausstieg 2038 das Doppelte genehmigt worden.

«Es ist vernünftig, mehr Kohle des Rheinischen Reviers im Boden zu lassen und für den Klimaschutz den Kohleausstieg hier vorzuziehen», sagte Ottmar Edenhofer, Klimaökonom und Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung. «Gleichzeitig muss aber sichergestellt sein, dass wir nicht in Engpässe bei der Stromversorgung kommen – deshalb muss zugleich der Ausbau der Erneuerbaren sehr rasch vorangebracht werden.»

Auch die Energieexpertin Claudia Kemfert vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung sagte, wichtig sei vor allen Dingen der schnellere Ausbau der erneuerbaren Energien. «Je schneller sie ausgebaut werden, desto weniger Kohle muss abgebaggert und desto weniger Orte umgesiedelt werden.»

Was das für Dörfer bedeutet

Für die Dörfer Keyenberg, Kuckum, Oberwestrich, Unterwestrich und Berverath sowie drei Höfe gibt es nun Gewissheit: Sie müssen definitiv nicht den Baggern weichen, ihre Bewohner haben dort also eine Zukunft. Überraschend kommt das aber nicht, letztlich war dies angesichts von Wortmeldungen aus der schwarz-grünen Landesregierung in NRW schon mehr oder minder klar.

Trotzdem ist es für die Bewohner beruhigend, nun Gewissheit zu haben. Der bekannteste Ort aus der Gegend aber wird verschwinden: Lützerath. Die Siedlung, in welcher der letzte dort gemeldete Bewohner unlängst frustriert auszog, wird abgerissen werden, damit das darunter befindliche große Kohlevorkommen gefördert werden kann.

Umweltschützer und die Grüne Jugend – also Parteifreunde von Minister Habeck und NRW-Wirtschaftsministerin Mona Neubaur – äußerten scharfe Kritik. Die Grüne Jugend schrieb auf Twitter, die Kohle unter Lützerath werde nicht mehr gebraucht. «Im Gegenteil: Damit heizen wir die Klimakrise weiter an.» Der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland meinte, die Grünen opferten Lützerath.

Die Proteste am Ort dürften in den kommenden Monaten zunehmen. «Wir werden das Dorf mit der gesamten Klimagerechtigkeitsbewegung schützen, das wird ähnlich wie im Hambacher Forst», sagte Christopher Laumanns von der Organisation «Alle Dörfer bleiben!». Der Hambacher Forst, der am Rand des Braunkohletagebaus liegt, galt und gilt als Symbol der Auseinandersetzung zwischen Klimaschützern und der Kohlebranche.

Warum es Kritik aus der Koalition gibt

Die FDP sprach von einem nicht abgestimmten Vorschlag Habecks und wandte sich gegen «politisch festgelegte Abschalttermine». Fraktionsvize Lukas Köhler sagte: «Damit der Kohleausstieg bis 2030 gelingen kann, müssen nicht nur die erneuerbaren Energien sowie die notwendigen Netze in ausreichendem Maße zur Verfügung stehen, sondern auch deutlich mehr flexible Gaskraftwerke als bisher.»

Niemand könne mit Gewissheit sagen, dass dies alles exakt wie geplant gelingen werde. Zwar stehe die FDP zu dem im Koalitionsvertrag vereinbarten Ziel, den Kohleausstieg «idealerweise» bis 2030 zu vollziehen. Vereinbart worden sei aber auch, von einer Änderung des Kohleausstiegsgesetzes zu diesem Zweck abzusehen – genau das aber plant Habeck nun.

Von Andreas Hoenig und Wolf von Dewitz, dpa