Vor dem ersten China-Besuch von Bundeskanzler Olaf Scholz am 3./4. November dringt die deutsche Wirtschaft auf robusteres Auftreten gegen Peking. Der Bundesverband der deutschen Industrie (BDI) appellierte an den SPD-Politiker, einseitige deutsche Abhängigkeiten zu verringern.
Der deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) fordert angesichts der von vielen deutschen Managern beklagten Gängelei durch die chinesischen Behörden Einsatz für gleiche Spielregeln. Der Bundesverband Großhandel plädiert dafür, den Freihandel mit freundlicher gesinnten Ländern auszubauen.
DIHK: Protektionismus ein Problem
«Einseitige Abhängigkeiten müssen wir rasch abbauen», sagte BDI-Präsident Siegfried Russwurm. «Deutschland ist von vielen mineralischen Rohstoffen heute stark von China abhängig.» Im Gegensatz etwa zu Öl und Gas gebe es bei mineralischen Rohstoffen keine nationalen strategischen Reserven in Deutschland.
«Der zunehmende Protektionismus in der Volksrepublik ist aus Sicht der deutschen Wirtschaft ein Problem», kritisiert DIHK-Hauptgeschäftsführer Martin Wansleben. «Das Land setzt selbst eher auf Abschottung, will aber überall in der Welt mehr mitmischen, auch bei uns in Deutschland». Deshalb sei es so wichtig, dass der Bundeskanzler sich für «wechselseitig gleiche Regeln, also Reziprozität, einsetzt. Hier muss sich auch Europa klar positionieren.»
BDI: Instrumente für mehr Reziprozität notwendig
Der BDI sieht das ganz ähnlich: «Zentral für Deutschland als Exportland ist eine proaktivere EU-Handelspolitik, vor allem gegenüber weiteren dynamischen Wachstumsmärkten im asiatisch-pazifischen Raum», sagte Russwurm. «Eine Handelsstrategie sollte den Zugang zu alternativen Beschaffungs- und Absatzmärkten öffnen und einen verlässlichen Regelungsrahmen setzen. Dringend notwendig sind Instrumente für mehr Reziprozität bei öffentlichen Aufträgen und gegen Marktverzerrungen durch drittstaatliche Subventionen.»
Für den Kanzler läuft dies darauf hinaus, dass er die seit Jahrzehnten eingefahrenen Gleise der deutschen Außenhandelspolitik verlassen soll. China ist der weltgrößte Markt für fast alles. Ausgenommen sind nur wenige Nischenprodukte, beispielsweise Sonnenbänke. Denn in China bedeutet Sonnenbräune niederen sozialen Status, nur Bauern und Bauarbeiter arbeiten an der Sonne.
Lange keine Debatte über politische Dimension
Für andere Erzeugnisse vom Auto bis zum Turnschuh gilt das nicht. Und so agierten deutsche Spitzenpolitiker vom einstigen CSU-Chef Franz Josef Strauß bis zu Ex-Kanzlerin Angela Merkel bei Peking-Besuchen seit den 1970er Jahren stets als Türöffner für die deutsche Wirtschaft. Verbunden war dies mit der Hoffnung, dass die chinesische Diktatur sich in Richtung Rechtsstaat wandeln werde. Anders als in den USA gab es hierzulande lange quasi keine Debatte über die damit verbundenen politischen und wirtschaftlichen Risiken.
Der Großhandelsverband BGA plädiert dafür, enger mit anderen Ländern zu kooperieren. «Wenn die Bundesregierung die Abhängigkeit von China verringern will, dann muss sie die Handelsbeziehungen zu anderen Staaten deutlich verbessern», sagt BGA-Präsident Dirk Jandura. «Wir brauchen endlich Freihandelsabkommen mit Wertepartnern im transatlantischen Raum, den Mercosur-Staaten, aber auch mit Indien und weiteren Ländern in Ost- und Süd-Ostasien.» Zudem sollten neue Handelsstrategien entwickelt werden – «beispielsweise für Afrika», fordert Jandura.
Manager beklagen Gängelei und Ausforschung
Heute lautet die Frage weniger, ob China demokratisch wird, sondern eher, ob Deutschland und Europa sich chinesischen Ansprüchen beugen. So verlangte Peking, die Beteiligung des Staatsunternehmens Cosco am Hamburger Hafenterminal Tollerort zuzulassen. Doch deutsche Beteiligungen an chinesischer Infrastruktur sind weitgehend ausgeschlossen. Zu den wenigen Ausnahmen zählt etwa ein Engagement der Münchner Messe in Shanghai.
Deutsche Manager in China beklagen ein stetig zunehmendes Maß an Gängelei und Ausforschung. Aktuell beliebte Druckmittel der chinesischen Behörden sind «Datenschutz» und «nationale Sicherheit»: Von ausländischen Unternehmen wird verlangt, technologische Entwicklungen offenzulegen, mit dem Argument, dass die chinesischen Gesetze dies vorschrieben.
Doch dank jahrzehntelanger politischer Förderung sind Deutschlands Unternehmen heute so eng mit China verflochten, dass eine «Entkopplung» schwerwiegende Folgen für die deutsche Volkswirtschaft hätte.
Boykottaufrufe in China schädigen deutsche Firmen
Bekanntestes Beispiel eines auf China angewiesenen Unternehmens ist Volkswagen, der Konzern macht vierzig Prozent seines Umsatzes in China. Ähnlich gilt das aber zum Beispiel auch für den Sportbekleidungshersteller Adidas, der im vergangenen Jahr unter Boykottaufrufen chinesischer Nationalisten litt. Eine alte Weisheit unter auslandserfahrenen Managern: Man kommt leichter in einen Markt hinein als wieder heraus.
«Es gibt zwei große Probleme», sagt der Ökonom Jürgen Matthes vom Institut der deutschen Wirtschaft in Köln. «Das ist zum einen die große Abhängigkeit von Rohstoffen aus China, etwa bei seltenen Erden.» Deren Produktion in Europa sei möglich, aber es sei «zweifellos teurer, dies umweltverträglich hier in Europa zu machen». Dazu komme, dass viele deutsche Firmen einen hohen Umsatzanteil in China erwirtschafteten, sagt Matthes mit Blick auf Firmen wie Adidas und VW. «Die große Frage ist, was im Falle einer Eskalation im Taiwan-Konflikt und infolge dessen westlicher Sanktionen passieren würde.»
Laut Statistischem Bundesamt war China im vergangenen Jahr mit 246,1 Milliarden Euro wichtigster Handelspartner. «Politisch und wirtschaftlich ist eine Entkopplung von der Volksrepublik weder wünschenswert noch sinnvoll», sagt BDI-Chef Russwurm deswegen.
Und so steht Kanzler Scholz einerseits vor der Aufgabe, die Wirtschaftsbeziehungen eng zu halten, und gleichzeitig die Abhängigkeit zu reduzieren. Eine Aufgabe, die der Quadratur des Kreises ähnelt.
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