Zum Höhepunkt der Aktionswoche der Bauern gegen die Streichung der Steuerbegünstigung beim Agrardiesel werden am Montag Tausende Landwirte in der Hauptstadt erwartet. Zuvor hatte es bereits tagelang in vielen Regionen Proteste der Landwirte mit zum Teil erheblichen Verkehrsbehinderungen gegeben. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) rief angesichts der Bauernproteste zu «Maß und Mitte» auf.
Scholz sagte in einer am Samstag verbreiteten Video-Botschaft «Kanzler kompakt»: «Wenn an sich legitime Proteste umkippen – und zwar pauschal in Wut oder Missachtung für demokratische Prozesse und Institutionen, dann verlieren wir alle. Profitieren werden dann nur diejenigen, die unsere Demokratie verachten.» Aufrufe zu Gewalt und persönliche Bedrohungen hätten in der Demokratie nichts verloren.
Großdemonstration, Anhörung, Gespräche
Der Deutsche Bauernverband fordert, die Kürzungen zurückzunehmen und warnt vor negativen Folgen für die Landwirtschaft. Dies könne zu einer «deutlichen Verschärfung des Strukturwandels» führen, heißt es in einer Stellungnahme des Verbands zu einer Anhörung am Montag im Finanzausschuss des Bundestags. Insbesondere die Hofnachfolge im Rahmen des Generationswechsels werde zunehmend gefährdet, da sich die Planungssicherheit weiter deutlich verschlechtere.
Bei der Anhörung geht es um das Haushaltsfinanzierungsgesetz, mit dem die Bundesregierung geplante Kürzungen im Haushalt umsetzen will. Aufgrund eines Urteil des Bundesverfassungsgerichts müssen Milliardenlöcher gestopft werden. Die Bundesregierung will unter anderem die Steuerbegünstigung für Agrardiesel schrittweise abschaffen. Dies bedeute im Schnitt Mehrkosten von etwa 3000 Euro im Jahr pro Betrieb.
Der Bundestag muss dem Bundeshaushalt 2024 sowie den geplanten Kürzungen noch zustimmen. Am Montag haben die Vorsitzenden der Ampel-Fraktionen von SPD, Grüne und FDP die Spitzen der Landwirtschaftsverbände zu einem Gespräch eingeladen. Bauernpräsident Joachim Rukwied sagte der Deutschen Presse-Agentur: «Wir gehen davon aus, dass sie sich der Brisanz des Themas bewusst sind und wir ernsthafte Vorschläge dazu erhalten werden.»
Kanzler verteidigt Kompromiss
Scholz sagte mit Blick auf die teilweise Rücknahme von Kürzungen, die Regierung habe sich die Argumente der Landwirte «zu Herzen» genommen. «Außerdem geht es darum, was wir noch tun können, damit die Landwirtschaft eine gute Zukunft hat. Auch darüber sprechen wir miteinander. Auch dazu suchen wir gemeinsam Lösungen.» Es gehe auch um faire Preise, um die Macht des Handels, um Bodenspekulationen und um die Folgen des Klimawandels. Er fügte hinzu: «Wenn jede Subvention auf ewig bestehen bleibt, wenn wir alle zu 100 Prozent auf unserem Standpunkt beharren, wenn wir alles so machen wie immer – dann kommen wir auch nicht voran.»
Der Kanzler sagte weiter: «Geht es bei all den aktuellen Protesten wirklich allein um den Agrar-Diesel oder den Abbau von Subventionen? Ich denke, Krisen und Konflikte sorgen insgesamt für Verunsicherung. Viele treibt die Sorge um: Was kommt als Nächstes – was bringt die Zukunft für mich? All das sorgt dafür, dass einige das auch laut zum Ausdruck bringen.» Streit gehöre zu einer Demokratie, so Scholz – aber auch der Kompromiss. Er sei Rukwied dankbar, dass er sich klar distanziert habe «von Extremisten und manchen Trittbrettfahrern, die zum «Aufstand» blasen und vom «Umsturz des Systems» schwadronieren.
Steinmeier ruft Bundesregierung zum Gespräch mit Bauern auf
«Ich finde es in der augenblicklichen Situation dringend notwendig, dass persönliche Gespräche stattfinden», sagte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier der «Süddeutschen Zeitung». Proteste seien legitim. «Aber Sprachlosigkeit zwischen der Bundesregierung und den Bauern schadet allen Beteiligten.» Steinmeier riet der Politik, öfter raus ins Land zu gehen, so wie er dies tue, wenn er seinen Amtssitz immer wieder für einige Tage in kleinere Städte verlege. Er wolle den Menschen dort das Gefühl nehmen, dass sich niemand für sie interessiere. «Manchmal hilft es schon, hinzugehen und zu sagen, wir wollen Euch hören. Insofern halte ich mehr Präsenz im ländlichen Raum tatsächlich für dringend erforderlich.»
Lindner verweist auf hohe Subventionen für Landwirtschaft
Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) sagte der «Neuen Osnabrücker Zeitung», der Agrarsektor erhalte jährlich Subventionen von gut neun Milliarden Euro aus Brüssel und Berlin. «Es fallen 2025 jetzt weniger als dreihundert Millionen weg. Wir reden also von rund drei Prozent.» Für die Normalisierung der Staatsfinanzen müssten alle ihren Beitrag leisten. Mit dem Abbau von Subventionen würden keine Haushaltslöcher geschlossen, sondern neue Entlastungen finanziert – nämlich die Senkung der Stromsteuer für das produzierende Gewerbe.
Lindner stellte den Landwirten jedoch einen verstärkten Abbau bürokratischer Lasten in Aussicht. «Bei den aktuellen Diskussionen um die Landwirtschaft geht es nicht nur um öffentliche Gelder und Subventionen. Es schwingt auch wachsender Frust der Landwirte über immer mehr Auflagen und andere Eingriffe in ihre Betriebsabläufe mit», sagte er der «Rheinischen Post». «Deshalb müssen wir schauen, wie der wirtschaftliche Erfolg durch weniger Regulierung insgesamt verbessert werden kann.» Bauernpräsident Rukwied sagte dazu: «Faule Kompromisse beim Agrardiesel werden wir nicht akzeptieren.»
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