In den letzten Stunden als Siemens-Chef merkt man Joe Kaeser die Rührung dann doch noch an. Bevor er auf der Hauptversammlung seine Rede beginnt, muss sich der Manager mehrmals räuspern.
Doch dann zieht er in gewohnter Manier im großen Bogen Bilanz des vergangenen Jahres und seiner ganzen Amtszeit – inklusive gesellschaftlicher Einordnung.
Der Tag hat für Siemens, Kaeser und seinen Nachfolger Roland Busch gut begonnen. Mitten in der Corona-Krise hat das Unternehmen im abgelaufenen ersten Quartal des Geschäftsjahres einen Gewinnsprung hingelegt und erhöht nun die Prognose. 1,5 Milliarden Euro verdiente Siemens von Oktober bis Dezember – ein Plus von 38 Prozent. Im vollen Geschäftsjahr sollen es 5 bis 5,5 Milliarden Euro werden. Auch Umsatz und Auftragseingang stiegen.
All das gelang im Vergleich zu einem Vorjahresquartal, das von der Pandemie noch nicht betroffen war, wie Kaeser hervorhebt. Wer in dieser Situation so stark wachse, «der muss irgendetwas richtig gemacht haben», sagte er. Die «enormen Anstrengungen der Vergangenheit» hätten sich gelohnt.
Verantwortet hat das erste Quartal allerdings bereits Roland Busch, der mit dem Ende der Hauptversammlung in Kaesers Fußstapfen als Konzernchef tritt und von einem «außerordentlich guten Start» spricht. Das gilt nicht nur für das Unternehmen sondern auch für ihn.
Man habe jede Gelegenheit genutzt, die sich geboten habe, sagte Busch. In China und Deutschland seien die Geschäfte besser gelaufen als erwartet. Einige Branchen wie der Automobilbereich und der Maschinenbau hätten sich deutlich schneller erholt. «Den Boom in diesen margenträchtigen Geschäften sehen Sie heute im Ertrag.»
Beim Ergebnis halfen auch niedrigere Ausgaben. So sanken die Reisekosten pandemiebedingt um fast zwei Drittel. Im Vorjahresquartal waren sie noch mit rund 270 Millionen Euro zu Buche geschlagen. Das niedrige Niveau werde man aber nicht halten können, sagte Busch.
Angesichts des soliden Zustands, in dem Siemens seinen Chef auswechselt, geriet die Hauptversammlung zwischenzeitlich zum wechselseitigen Lobgesang – auch wenn der Applaus bei der virtuellen Veranstaltung mangels Saalpublikum eher dünn ausfiel. Aufsichtsratschef Jim Hagemann Snabe würdigte Kaeser als eine der «größten Führungspersönlichkeiten» in der Geschichte von Siemens, die das Unternehmen «wie wenige andere geprägt haben». Kaeser erklärte seinen Nachfolger Busch zum «richtigen Menschen, zum richtigen Zeitpunkt, am richtigen Platz».
Auch sich selbst lobte Kaeser. Er verwies auf die Stabilisierung und den Umbau des Unternehmens unter seiner Ägide und auf den aktuellen Höhenflug der Aktien von Siemens sowie der beiden abgespaltenen Unternehmen Siemens Energy und Siemens Healthineers. Auch insgesamt sei der Kurs im Laufe seiner Amtszeit kräftig gestiegen.
Busch startet mit Rückenwind in sein Amt. Doch er muss füllen, was Aktionärsvertreterin Daniela Bergdolt von der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz zuletzt als «Riesenmeilenstiefel» bezeichnete. Busch selbst sieht das Unternehmen vor einem «Jahrzehnt der Möglichkeiten», weil sich die Industrie durch die Digitalisierung neu erfinden müsse. Die weltweiten Investitionen in Automatisierung, intelligente Gebäude sowie Mobilität und Ladeinfrastruktur dürften in den kommenden Jahren zum Teil deutlich zulegen. Die Siemens-Märkte seien «die Wachstumsmärkte des Jahrzehnts», so Busch. Dies zu nutzen ist nun seine Aufgabe.
Und Kaeser? Der bleibt dem Siemens-Kosmos als Aufsichtsratschef von Siemens-Energy verbunden. Und ansonsten, so betonte er am Mittwochmorgen, gehe es ihm gut und er freue sich auf seinen letzten Tag als Siemens-Chef – und auch auf den Tag danach.
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