Bei der Deutschen Post unternehmen der Vorstand und die Gewerkschaft Verdi einen neuen Anlauf, um den seit Januar schwelenden Tarifkonflikt zu entschärfen. Obwohl sich die Verdi-Mitglieder, die im deutschen Brief- und Paketgeschäft tätig sind, mit klarer Mehrheit gegen ein Angebot der Post ausgesprochen und ihre Bereitschaft zum unbefristeten Streik erklärt haben, kehrt Verdi an den Verhandlungstisch zurück. Ein Überblick über das Thema.
Wie ist der Stand der Dinge im Tarifkonflikt?
Verdi will ein Entgeltplus von 15 Prozent in einem einjährigen Vertrag durchsetzen und begründet das unter anderem mit der hohen Inflation. Die Post lehnte die Forderung als wirtschaftlich nicht tragfähig ab. Sie bietet einen zwei Jahre laufenden Vertrag an, der eine Tariferhöhung in zwei Stufen ab 2024 vorsieht. Nach ihren Berechnungen würde sich die Bezahlung der Beschäftigten um durchschnittlich 11,5 Prozent verbessern. Separat hierzu sollen die Beschäftigten schon ab diesem Jahr schrittweise 3000 Euro netto bekommen, die als Inflationsausgleichsprämie fließen.
Kommt es zum Streik?
Vorerst nicht. Zwar erklärte Verdi die Tarifverhandlungen im Februar für gescheitert und führte danach eine Urabstimmung ihrer Mitglieder durch, die in dem Konzernbereich Post & Paket Deutschland tätig sind. Deren am Donnerstag bekanntgegebenes Ergebnis war eindeutig: 85,9 Prozent der Befragten waren gegen das Post-Angebot und für einen unbefristeten Arbeitskampf. Dennoch wollte Verdi die Auseinandersetzung nicht weiter eskalieren und verzichtete vorerst auf die Ausrufung eines unbefristeten Streiks. Stattdessen kehrt Verdi an den Verhandlungstisch zurück.
Wie geht es weiter?
Morgen setzen Verdi und das Post-Management die Tarifgespräche fort. Die Gewerkschafter dürften dort selbstbewusst auftreten, schließlich verstehen sie das klare Belegschaftsvotum als Stärkung ihrer Position. Das Post-Management betont, man werde nichts zustimmen können, was das Stammgeschäft unprofitabel machen und zum Abbau von Arbeitsplätzen führen würde. Nach außen hin verlautbaren beide Seiten, dass sie an ihren Positionen festhalten. Gut möglich aber, dass die Tarifparteien trotzdem kompromissbereit sind. Für die Post steht viel auf dem Spiel: Gehen die Verhandlungen in die Binsen, könnte es doch noch zum Streik kommen.
Wann gab es zuletzt einen Streik bei der Post?
Warnstreiks gab es immer mal wieder, zuletzt im Februar. Solche Arbeitsniederlegungen sind zeitlich befristet begrenzt. Einen unbefristeten Streik nach Abbruch der Verhandlungen gab es aber erst ein Mal in diesem Jahrtausend bei der Post, und zwar 2015. Damals sorgten neue Paket-Tochterfirmen mit niedrigerer Bezahlung für Unmut.
Welche Folgen hätte ein Streik für Verbraucherinnen und Verbraucher?
Bei den jüngsten Warnstreiks im Januar und Februar blieben Millionen Briefe und Pakete zwischenzeitlich liegen. Im Verhältnis zu den Gesamtmengen waren das aber nur geringe Prozentwerte. Mancher Empfänger hatte Pech und musste zwei, drei Tage warten, andere bekamen die Warnstreik-Folgen gar nicht mit. Beim Streik wäre das aller Voraussicht nach anders: Es dürfte erhebliche Verzögerungen geben. Laut Verdi sind mehr als 100.000 Beschäftigte dieser Sparte Mitglieder bei der Gewerkschaft – rechnerisch wäre damit circa jeder Zweite streikberechtigt. Tatsächlich dürfte die Beteiligung aber schwanken und je nach Region unterschiedlich ausfallen.
Wie läuft das Geschäft bei der Deutschen Post?
Alles in allem sehr gut. Die Fracht- und Lieferketten-Sparten boomen, und auch der Paketversand im Ausland und Expresszustellungen legen beim Umsatz zu. Das Stammgeschäft – der Brief- und Paketversand im Inland – sackt hingegen ab, hier machen sich die eingetrübte Konsumlaune und höhere Kosten etwa für Energie stark bemerkbar. Alle Konzernbereiche zusammengerechnet kam der Konzern im vergangenen Jahr auf einen Betriebsgewinn von 8,4 Milliarden Euro (plus 5,7 Prozent). In diesem Jahr rechnet die Konzernspitze wegen der Konjunkturentwicklung aber mit einem sinkenden Betriebsergebnis.
Wie hat sich die Post verändert?
Das einstmals urdeutsche Unternehmen hat sich zum globalen Großkonzern mit breitem Portfolio entwickelt. Als Frank Appel 2008 Vorstandsvorsitzender wurde, machten der Brief- und Paketversand in Deutschland circa 85 Prozent des operativen Gewinns (Ebit) aus, der Rest kam nur auf 15 Prozent. Seither hat der Konzern enormes Wachstum hinter sich und die Verhältnisse haben sich umgekehrt: Das Stammgeschäft kommt nur noch auf 17 Prozent des operativen Gewinns und der Rest auf 83. Das macht deutlich: Die Musik spielt im Ausland.
Wie ist die Lage im Inland?
Circa ein Drittel der Belegschaft ist in der Sparte Post & Paket Deutschland tätig – Ende 2022 waren es rund 192.000 Menschen. Hier macht sich der Strukturwandel bemerkbar: Die Briefmengen sinken, weil die Menschen immer stärker auf digitale Kommunikation setzen. Die Paketmengen stiegen hingegen jahrelang, weil der Versandhandel boomt. 2022 sank die Zahl der beförderten Pakete zwar, das war aber wegen des hohen Vergleichsniveaus aus dem Coronajahr 2021 keine Überraschung. Künftig rechnet die Post hier wieder mit einem Zuwachs.
Was passiert im Vorstand?
Seit 2008 steht der frühere McKinsey-Berater Appel an der Konzernspitze. In zwei Monaten ist Schluss: Dann räumt der 61-Jährige seinen Chefposten und der 47 Jahre alte Vorstandskollege Tobias Meyer übernimmt. Künftig wird sich Appel auf seine Tätigkeit als Telekom-Aufsichtsratsvorsitzender konzentrieren. Damit bleibt er einem anderen Teil der früheren Bundespost erhalten. Sein Nachfolger Meyer kennt die Post gut, von 2019 bis 2022 leitete er das Stammgeschäft des Logistikers, den Konzernbereich Post & Paket Deutschland. Meyer war früher ebenfalls bei McKinsey tätig, seit 2013 ist er beim Bonner Konzern.
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