29. November 2024

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Streit um EU-Stabilitätspakt – Scholz: Regeln flexibel genug

In der Debatte um die Rückkehr zur Haushaltsdisziplin nach der Corona-Krise werden in der EU erste Bruchlinien sichtbar. Geht es zurück zu strengen Obergrenzen für Schulden und Ausgaben?

In der EU bahnt sich Streit um die Rückkehr zu strengen Haushaltsregeln nach der gewaltigen Schuldenaufnahme in der Corona-Krise an.

Bundesfinanzminister Olaf Scholz erteilte weitreichenden Reformvorschlägen am Freitag eine Absage. «Wir haben einen guten Rahmen für Stabilität in Europa. Und er hat gezeigt, gerade jetzt in der Krise, dass er besonders handlungsfähig ist», sagte der SPD-Kanzlerkandidat bei einem Treffen der Wirtschafts- und Finanzminister der EU in Slowenien. Der französische Ressortchef Bruno Le Maire sprach hingegen von Regeln, die «offensichtlich obsolet sind».

Als Beispiel nannte er die Obergrenze für öffentliche Schulden. Es gebe inzwischen große Unterschiede bei den Schuldenquoten der Mitgliedstaaten. «Wir müssen eine andere Methode finden, andere Regeln», sagte Le Maire. Auch die spanische Wirtschaftsministerin Nadia Calviño forderte «neue Regeln, die bereit sein sollen, bevor wir diese außergewöhnliche Situation der Pandemie-Bekämpfung verlassen.»

Scholz betonte, man müsse zu den Stabilitätskriterien der EU-Haushaltsregeln zurückkehren. «Alle wissen auch, dass das ein Prozess ist, der einen Übergang benötigt. Das ist aber alles im Rahmen der geltenden Regeln möglich», sagte Scholz. Die Regeln hätten den Mitgliedstaaten die Möglichkeit gegeben, den gemeinsamen Wiederaufbau nach der Pandemie mit einem europäischen Konjunkturprogramm zu planen.

Der Europaabgeordnete Rasmus Andresen (Grüne) kritisierte den Kurs des deutschen Finanzministers. «Es ist unverständlich, dass auch Olaf Scholz am längst überholten Mantra der Stabilitätskriterien festhalten will», sagte Andresen. Das widerspreche dem Programm seiner Partei.

Auch mehrere nordeuropäische Länder setzen in einem am Freitag vorgelegten Papier auf klare Haushaltsvorgaben. Unter anderem Österreich und die Niederlande betonten, dass der Rückgang von exzessiven Schulden das gemeinsame Ziel bleiben müsse. Sie schlugen nur leichte Änderungen der Regeln vor: «Insbesondere Vereinfachungen oder Anpassungen, die eine konsistente, transparente und bessere Anwendung und Durchführung der Regeln begünstigen, sind es wert, diskutiert zu werden.»

Mehrere Minister begrüßten einen Vorstoß, bestimmte Investitionen für den Umwelt- und Klimaschutz aus den Haushaltsregeln auszuschließen. «Das ist eine Debatte wert», sagte Le Maire. Es gebe eine Notwendigkeit insbesondere für Investitionen in den Übergang zu einer grüneren und digitalen Wirtschaft. «Es ist wichtig, dass wir verstehen, dass es heute nicht nur darum geht, wie wir unseren Haushalt begrenzen, aber auch wie wir in unsere Zukunft investieren», sagte der belgische Finanzminister Vincent Van Peteghem.

Der Stabilitäts- und Wachstumspakt der EU sieht vor, dass EU-Länder nicht mehr als 60 Prozent der Wirtschaftsleistung an Schulden aufnehmen. Haushaltsdefizite sollen bei 3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts gedeckelt werden. Zu Beginn der Corona-Pandemie war allerdings schnell klar, dass die Staaten erheblich Schulden machen, um durch Ausgaben die Krise abzufedern. Daher wurde die «allgemeine Ausweichklausel» des Pakts aktiviert, die die Haushaltsregeln außer Kraft setzte. Die durchschnittliche EU-Schuldenquote liegt inzwischen laut dem Papier der nordischen Länder bei fast 100 Prozent des Bruttoinlandsprodukts – im Vergleich zu rund 80 Prozent 2019.

Die «allgemeine Ausweichklausel» soll eigentlich Ende 2022 wieder deaktiviert werden. Einige Länder finden die Haushaltsregeln angesichts der hohen Schuldenquote vieler Länder jedoch veraltet und fordern eine Reform vor Ende der Frist. Eine Konsultation zu einer möglichen Reform ist von der EU-Kommission im Herbst geplant.

Ein weiterer Konflikt könnte sich bei der Definition von grünen Projekten innerhalb der sogenannten EU-Taxonomie anbahnen. Hier geht es um ein einheitliches und transparentes System zur Einordnung ökologisch nachhaltiger Wirtschaftsaktivitäten. Le Maire möchte Atomkraft als klimafreundliche Investition kategorisieren.

«Es gibt keinen Grund, warum die Nuklearenergie nicht bis zum Ende des Jahre in der europäischen Taxonomie beinhaltet werden sollte», sagte er. Die Bundesregierung ist allerdings gegen eine Förderung der Kernkraft als grüne Technologie durch die EU, wie aus einer Antwort des Umweltministeriums an die Bundestagsabgeordnete Franziska Brantner hervorgeht, die der Deutschen Presse-Agentur vorliegt.

Bei dem zweitägigen Treffen im slowenischen Kranj kamen zunächst die Finanz- und Wirtschaftsminister der Euro-Länder am Morgen zusammen. Am Nachmittag stießen die Minister der Nicht-Euro-Länder hinzu.