Bis dicht ans Ufer ragen die Bäume des Regenwalds, kilometerlang. Das kleine Motorboot pflügt durch den Rio Negro, dann auf einmal erscheint eine kleine Siedlung. Weißer Sand, ein paar Häuser sind zu sehen – und Dorfbewohner haben sich aufgereiht, um die hohen Gäste aus Deutschland zu begrüßen. Ein kleines Mädchen malt Agrarminister Cem Özdemir mit einer rötlichen Naturfarbe ein Zeichen unter die Augen, später auch Wirtschaftsminister Robert Habeck. Es ist ein Symbol des Willkommens – und des Schutzes.
Und genau darum geht es beim Besuch der beiden Grünen-Minister am Dienstag (Ortszeit) in einem kleinen Dorf in der Nähe von Manaus – um den Schutz des Regenwalds. Inbrünstig singen die Dorfbewohner die brasilianische Nationalhymne, dann sind bald die Gäste dran.
«Ich bin Robert, und das ist Cem» sagt der Kommunikator Habeck auf Englisch. «Wir sind aus Deutschland, weit weg.» Und sagt, die Minister wollten wissen, wie das gehe – im Regenwald leben und ihn gleichzeitig schützen. Özdemir sagt, er habe in der Schule zum ersten Mal vom Regenwald gehört und sich nicht träumen lassen, dass er nun hier sei.
Besuch bei den Kambeba
Habeck und Özdemir besuchen eine Gemeinschaft des indigenen Volkes der Kambeba, gelegen am Rio Negro, knapp 60 Kilometer entfernt von der Amazonas-Metropole Manaus. Es ist schwül, schnell kommen die Gäste ins Schwitzen – und am Ende des kurzen Aufenthalts fängt es an zu regnen.
Die Kambeba stellen eine der indigenen Gruppen dar, die aufgrund von Diskriminierung und Gewalt aufgehört hatten, sich selbst als Indigene zu identifizieren – und ihre Identität mit dem Erstarken der indigenen Bewegung und der brasilianischen Verfassung in den 1980er Jahren wiederentdeckten.
Seit einiger Zeit hat sich das Dorf einer nachhaltigen Entwicklung verschrieben. Solaranlagen zum Beispiel liefern Strom. Zwar genug für die Familien, aber nicht für kleine Unternehmen, es gibt kleine Hotels und ein Restaurant. Es sind Projekte wie dieses, welche Deutschland zum Schutz des Regenwaldes finanziell fördert und künftig noch stärker fördern will, wie Habeck ankündigt.
Mit Özdemir setzt er eine deutsche Reisediplomatie fort. Im Januar schon war Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier zusammen mit Umweltministerin Steffi Lemke (Grüne) im Amazonas-Regenwald, sie besuchten einen Klima-Messturm. Auch Kanzler Olaf Scholz besuchte den neuen brasilianischen Präsidenten Luiz Inácio Lula da Silva. Der galt zwar in seinen ersten beiden Amtszeiten von Anfang 2003 bis Ende 2010 nicht als Umweltpolitiker, hat aber versprochen, dem Umwelt- und Klimaschutz Priorität einzuräumen. Sein Vorgänger Jair Bolsonaro hatte die Ausbeutung des Amazonasgebiets vorangetrieben.
Habeck zeigt sich emotional
Habeck hat die Pläne der brasilianischen Regierung unter Lula, das Abholzen des Regenwalds bis 2030 zu stoppen, auf seiner Brasilien-Reise schon mit emotionalen Worten bedacht: «Ich jedenfalls kann Tränen in die Augen bekommen, dass eine Regierung das Ruder so rumreißt.»
Allerdings schreitet die Abholzung des Regenwalds voran – in deutschen Diplomatenkreisen war mit Blick auf die Auswertung von Satellitenbildern im Februar, auf denen die vorläufige Zahl von Bränden gezählt werden, von einer besorgniserregenden Lage die Rede, auch weil die Brandsaison noch gar nicht begonnen hat. Unter der Regierung von Bolsonaro wurden Umwelt- und Kontrollbehörden systematisch geschwächt. Durch die abgeholzten Flächen werden neue Weideflächen und Ackerland etwa für den Soja-Anbau und die Rinderzucht geschaffen.
Die Zerstörung des Regenwalds sei dramatisch, sagte Roberto Maldonado, Lateinamerika-Experte beim WWF Deutschland. 18 Prozent des Waldes seien bereits gerodet. Experten fürchteten, dass bei einer Zerstörung von 20 bis 25 Prozent ein unumkehrbarer Kipppunkt erreicht sein könnte. Die freigesetzte Menge an CO2 wäre so groß, dass man das Ziel, die Erderwärmung bei 1,5 Grad weltweit zu begrenzen, vergessen könnte.
«Der Regenwald ist eine gigantische Klimaanlage, Regenmaschine und eine gewaltige Kohlenstoffsenke», sagt Maldonado. Wenn es nicht gelinge, den Wald zu retten, werde sich der Süden des Kontinents in eine Art Sahelzone in Lateinamerika verwandeln. «Dann können die Rinderzüchter und Sojabarone ihr Geschäftsmodell vergessen. Ohne Regen ist keine Landwirtschaft möglich. Und das Erreichen der weltweiten Klimaschutzziele ist dann ohnehin eine Illusion.»
Mercosur-Abkommen in der Kritik
Das geplante Freihandelsabkommen der EU mit dem südamerikanischen Staatenbund Mercosur nehme die Zerstörung des Regenwaldes faktisch in Kauf, sagt Maldonado. «Es reicht nicht, darauf zu verweisen, dass der Vertrag ein Kapitel zu Sozial- und Umweltstandards beinhaltet.» Was fehlt, seien Sanktionsmöglichkeiten bei Verstößen.
Er habe bei seinen Gesprächen in Brasilien eine andere Perspektive wahrgenommen, sagt Habeck im Dorf am Rio Negro. Nämlich, dass das Mercosur-Abkommen und mehr Handel gut seien, um den Regenwald besser zu schützen.
In Brasilien gibt es eine mächtige und exportstarke Agrarlobby. Man müsse auch mit Hilfe des Auslands Druck ausüben, sagt Virgilio Viana, Leiter der Stiftung nachhaltiges Amazonien, beim Minister-Besuch am Amazonas. Und Rios Bürgermeister Eduardo Paes sagt der Deutschen Presse-Agentur bei Eröffnung eines Forschungszentrums zu Klimafragen an der Columbia Universität in Rio, er habe keinen Zweifel, dass das Amazonasgebiet eine wichtige Angelegenheit sei. «Und es ist gut, dass die Leute Brasilien deswegen in die Pflicht nehmen.»
Brasilien habe endlich einen gewissen Zustand der Normalität erreicht, in dem es das Amazonasgebiet als einen Teil des nationalen Staatsgebiets und als brasilianisches Erbe verstehe, das auf diverse Weise genutzt werden könne, aber geschützt werden müsse.
Sorge vor mehr Abholzung
Man müsse nun schauen, wie das Ziel Lulas, die illegale Abholzung des Regenwaldes zu stoppen, gesichert werde, sagt Habeck bei den deutsch-brasilianischen Wirtschaftstagen in Belo Horizonte. In Brasilia ergänzt er, das Abkommen dürfe nicht dazu führen, dass ein erweiterter Handel zu einer erhöhten Abholzung des Regenwaldes führe.
Die Regierung Lula habe selbst ein Interesse daran, dass das Abkommen entsprechend wirksam sei. «Jetzt schauen wir uns noch einmal an, welche konkreten Maßnahmen schon in dem Abkommen drinstehen, wie sie weiter ausgedeutet werden können und ob weitere Maßnahmen notwendig sind.»
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