In den Hallen K170 und K180 in Rüsselsheim hat die Zukunft des Autobauers Opel begonnen. Wie an einer Perlenkette hängen die stählernen Autokarossen hintereinander auf ihrem Weg zur «Hochzeit», wo sie in Sekundenschnelle mit der Bodengruppe zusammengefügt werden.
Das Besondere: Vom Opel-Band laufen ohne Verzögerung ganz verschiedene Auto-Typen.
In die Reihen des altbekannten Mittelklassewagens Opel Insignia mischten sich in den vergangenen Wochen immer mehr Kompaktwagen vom Typ DS4 der französischen Schwestermarke sowie aus der Vorserie des Opel Astra. Sie repräsentieren in zweierlei Hinsicht die nähere Zukunft des Standortes: Erstmals werden hier Autos verschiedener Marken auf einer Plattform des Mutterkonzerns Stellantis gebaut, die zudem auch noch in teilelektrischen Hybrid-Versionen erhältlich sind. Ein wichtiger Zwischenschritt, denn bereits im Jahr 2028 will Opel in Europa nur noch vollelektrische Batterie-Autos verkaufen.
Seit der Übernahme im August 2017 hat der Chef der Peugeot-Mutter PSA, Carlos Tavares, bei Opel einen harten Sanierungskurs durchgesetzt. Teile der Entwicklung wurden ebenso verkauft wie das Testcenter und weitere Immobilien. Nach einer Einigung mit der IG Metall wurden tausende Arbeitsplätze gestrichen und die Menschen mit Abfindungen oder Vorruhestandsgeld nach Hause geschickt. Nach der Fusion mit Fiat-Chrysler ist der 1862 gegründete Traditionshersteller Opel einzige deutsche Marke im noch größeren Stellantis-Konzern, der weiterhin von Tavares gelenkt wird.
Seit der Übernahme war es vorbei mit der technischen Eigenständigkeit der früheren Tochter des US-Konzerns General Motors (GM), die über Jahrzehnte nur Verluste eingefahren hatte. Neue Modelle entstanden seitdem aus Kostengründen ausschließlich auf Plattformen des neuen Mutterkonzerns. Bei allen äußerlichen Unterschieden sind nun der schnörkelige DS 4, der elegante Peugeot 308 und der unaufdringliche Opel Astra unter dem Blech weitgehend baugleich – ein Prinzip, das auch beim Konkurrenten Volkswagen erfolgreich angewendet wird.
Für Astra-Chefingenieurin Mariella Vogler schafft die effiziente Plattform-Strategie erst den Freiraum für die notwendige Kreativität, ein neues Auto zu entwickeln. Die 59-Jährige ist seit der ersten Minute beim Premieren-Astra auf einer PSA-Plattform dabei. «Wir konnten uns in dem reich gefüllten Komponentenregal bedienen und mit unserer Arbeit in vielen Details einen neuen Opel schaffen. So wie der Astra wird keines der Schwestermodelle fahren.» Angefasst wird in dem Entwicklungs- und Differenzierungsprozess alles, was der Kunde sehen, berühren oder spüren kann: Bedienelemente, Sitze, Licht und Fahrwerk sind neben dem äußeren Design die wichtigsten Unterscheidungsmerkmale.
Bereits im Sommer 2020 haben die Umbauarbeiten in dem zuletzt kaum noch ausgelasteten Werk begonnen. Die Herausforderung: Auf der Linie sollten sowohl die neuen Modelle Astra und DS4 als auch der Mittelklassewagen Insignia montiert werden, der als letztes nicht-elektrifiziertes Überbleibsel noch aus GM-Zeiten stammt. Und zwar in der Reihenfolge, wie die Aufträge reinkommen. Denn auch das hat Tavares in Rüsselsheim geändert: «Wir bauen keinen Wagen ohne Auftrag», sagt Werksleiter Michael Lewald. In der Folge war der zuvor aufgeblähte Absatz eingebrochen, hat sich aber in diesem Jahr gefangen. Bereit 2018 hatte Opel wieder einen Gewinn ausgewiesen.
Weitere aktuelle Innovationen am Main sind ein neues Lackiersystem, das 80 Prozent der Energiekosten einspart, und der massenhafte Einsatz von autonomen Transportfahrzeugen, die mit Autokomponenten beladen durch die fast menschenleeren Hallen flitzen.
Der scheidende Opel-Chef Michael Lohscheller betont die grundsätzliche Bedeutung des Kompaktmodells auch in Zeiten des SUV-Booms: «Der Astra ist eines der meistverkauften Modelle der Marke Opel. Entsprechend wichtig ist die neue Generation für uns – vor allem auch, weil wir den Astra mit dem Plug-In-Hybrid in das Zeitalter der Elektromobilität führen.» Der Produktionsstart ist für den November geplant, so dass die Autos Anfang nächsten Jahres im Handel erhältlich sind. Das wird dann bereits der Ex-Renault-Manager Uwe Hochgeschurtz als Lohschellers Nachfolger verantworten.
Der Astra ist der Hoffnungsträger für das geschrumpfte Stammwerk mit noch gut 10.000 Beschäftigten, von denen viele noch in Kurzarbeit sind. In der eigentlichen Produktion steigt die Mitarbeiterzahl um 300 auf 2400, wenn im Spätherbst der Betrieb in zwei Schichten anläuft. Dass zudem ein Schwestermodell der Konzernmarke DS in Deutschland vom Band läuft, hat den französischen Gewerkschaften gar nicht gepasst, zeigt aber, dass Rüsselsheim im Stellantis-Produktionsverbund kostenmäßig mithalten kann.
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