Die Energiewirtschaft hat Entwarnung für Gaskunden und -kundinnen gegeben auch im Szenario eines Ausfalls russischer Erdgaslieferungen nach dem Einmarsch Russlands in die Ukraine.
Die Chefin des Bundesverbandes der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW), Kerstin Andreae, sagte der Deutschen Presse-Agentur am Donnerstag: «Sollten Lieferungen aus Russland kurzfristig ausfallen, ist das eine große Herausforderung. Sicher ist: In diesem Winter wird jeder Gaskunde eine warme Wohnung haben.» Russland liefert mehr als die Hälfte des in Deutschland verbrauchten Erdgases.
Es gebe in Europa Sicherungsmechanismen, die in einer Engpasssituation greifen würden. «In jedem Fall sind Haushaltkunden und Einrichtungen wie beispielsweise Krankenhäuser durch gesetzliche Bestimmungen besonders geschützt. Auch würden vertraglich geregelte Abschaltvereinbarungen mit Industrie oder Wechsel auf andere Energieträger die Nachfrage nach Gas drosseln.»
BDEW: Breiter Liefermix in Europa
Europa könne auf einen breiten Liefermix bauen, so Andreae. Gas komme gewissermaßen aus allen Himmelsrichtungen. «Hinzu kommt die sehr gute Gasspeicher-Infrastruktur insbesondere in Deutschland sowie das europäische Gas-Verbundnetz, dass den innereuropäischen Gas-Austausch ermöglicht und das in den vergangenen Jahren immer stärker ausgebaut worden ist.» Zudem komme aktuell auch Flüssigerdgas (LNG) via Großtanker aus den USA. In gewissem Umfang besteht die Möglichkeit, zusätzliche Flüssiggas-Mengen zu beziehen.» Die derzeit größten LNG-Anbieter seien Katar, Australien und auch die USA. «Insbesondere dort sind viele Produzenten in der Lage, ihre Angebotsmenge kurzfristig auszuweiten, um auf Nachfrageschwankungen zu reagieren.»
Mittelfristig werde der massive Ausbau erneuerbarer Energien, eine breitere Lieferstruktur und der Hochlauf von Wasserstoff bedeutsam für eine diversifizierte Versorgungssicherheit, sagte Andreae. «Wir müssen unabhängig von fossilen Energieträgern werden. Insbesondere für die erneuerbaren Energien muss nun endlich klar sein, dass Hemmnisse bei der Genehmigung und Realisierung der Projekte der Vergangenheit angehören müssen.»
Branchenverband Zukunft Gas: Versorgung gesichert
Vorstand Timm Kehler vom Branchenverband Zukunft Gas sagte der Deutschen Presse-Agentur: «Wir beobachten sehr genau die aktuelle Versorgungslage und können zumindest kurzfristig sagen: Für Deutschland ist die Gasversorgung gesichert. Insbesondere die Heizungskunden müssen sich aufgrund ihrer besonders geschützten rechtlichen Position und des diversifizierten Gasbezuges aus anderen Ländern keine Sorgen machen. Dieses Bild wird auch von den Meldungen, die wir von unseren Mitgliedern erhalten, bestätigt.»
Weiter hieß es vom Verband, die Entwicklungen der vergangenen Nacht seien schockierend – auch, weil die deutsche Gaswirtschaft auf eine jahrzehntelange Energiepartnerschaft mit Russland blicke. Für die Mitgliedsunternehmen gelte, dass aus Geschäftspartnern in vielen Fällen Freunde geworden seien. Die Beschäftigten hätten in ihrer Arbeit häufig auch einen Beitrag gesehen, Russland enger mit Europa zu verzahnen und ein Auseinanderdriften von West und Ost zu verhindern. Diese Arbeit werde nun in Frage gestellt.
Gaspreise könnten steigen
Ungeachtet des Angriffs Russlands auf die Ukraine ist die Versorgungssicherheit mit Gas auch nach Einschätzung des Energieversorgers EnBW im Moment nicht gefährdet.
«Aktuell liefern die russischen Vertragspartner die vertragsgemäß zugesagten Gasmengen», teilte eine Sprecherin des Karlsruher Unternehmens mit. Zudem deckten Lieferungen aus Norwegen und den Niederlanden sowie Flüssigerdgas-Lieferungen an westeuropäische Terminals die Nachfrage. «Das ist ein Beleg, dass der globale Gasmarkt funktioniert.»
Angesichts des Konflikts könnten auf Gas-Bezieher allerdings höhere Preise zukommen. Die EnBW kaufe Gas für ihre mehrere Hunderttausend Kundinnen und Kunden am deutschen Großhandelsmarkt ein, erläuterte die Sprecherin. «Aufgrund der langfristigen Beschaffungsstrategie der EnBW wirken sich eventuell dauerhaft hohe Gaspreise an der Börse mit einem Zeitversatz auf die Endkundenpreise aus.»
INES: Beispielloser „Stresstest» für EU-Versorgung
Im Fall eines längeren Stopps sämtlicher russischen Gaslieferungen rechnet die Gasspeicher-Vereinigung INES mit einem «beispiellosen Stresstest» für die Versorgung der EU. Diese Einschätzung äußerte Verbandsgeschäftsführer Sebastian Bleschke am Donnerstag nach dem Beginn des Krieges in der Ukraine. «Ob im Falle eines langfristig anhaltenden Ausfalls aller russischen Gaslieferungen bis in den nächsten Winter hinein die Gasversorgung zu jedem Zeitpunkt vollständig und unterbrechungsfrei aufrechterhalten werden kann, hängt von vielen Faktoren ab», sagte er. Eine abschließende Bewertung sei zum jetzigen Zeitpunkt nicht möglich.
Bleschke bekräftigte, dass die deutsche Gasversorgung in diesem Winter vermutlich selbst bei einem kompletten russischen Lieferstopp wohl noch aufrechterhalten werden könne. Bedingungen dafür seien weiter milde Temperaturen und ausreichend verfügbare Importe verflüssigten Erdgases (LNG). Die Gasspeicher in Deutschland seien zuletzt zu gut 30 Prozent gefüllt gewesen. «Die Speicherfüllstände sind also weiterhin niedrig, aber nicht mehr historisch tief.»
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