21. November 2024

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Verzögerungen verteuern Energiewende um Milliarden

Die Energiewende wird wegen vieler Verzögerungen teurer als nötig. An der Entstehung zusätzlicher Milliardenkosten maßgeblich beteiligt war die bayerische Politik. Die Kosten tragen alle.

Die deutsche Energiebranche rechnet für die nächsten Jahre mit weiteren Milliardenkosten für die Stabilisierung des deutschen Stromnetzes. Zu den Hauptursachen zählen die Verzögerungen beim Netzausbau und der gemessen am hohen Bedarf unzureichende Ausbau der erneuerbaren Energien im Süden.

Diese Faktoren machen nach Einschätzung von Verbänden, Unternehmen und Ökonomen auch in den nächsten Jahren ein aufwendiges «Netzengpassmanagement» notwendig.

Zahlen zu den Kosten des Engpassmanagements für das ganze Jahr 2023 gibt es noch nicht. Im ersten Halbjahr 2023 waren es laut Bundesnetzagentur über 1,6 Milliarden Euro, im Gesamtjahr 2022 4,2 Milliarden, in Teilen bedingt durch den Anstieg der Gaspreise.

Der Netzbetreiber Tennet geht davon aus, dass es an die zehn Jahre dauern könnte, die Kosten der Netzeingriffe wieder auf ein Minimum zu senken. Ob die Redispatch-Maßnahmen eventuell sogar weiter ansteigen könnten, ist nach Angaben des Bundesverbands der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) schwer vorauszusagen. «Kurzfristig ist noch nicht mit einer Entlastung der Redispatch-Kosten zu rechnen», prophezeite kürzlich Kerstin Andreae, Vorsitzende der BDEW-Hauptgeschäftsführung.

Regionale Unterschiede

Doch was bedeutet «Engpassmanagement»? Im Norden wird mehr Ökostrom produziert als verbraucht, im Süden ist es umgekehrt. Deswegen muss mehr Strom von Nord nach Süd transportiert werden. Weil der Bau der Hochspannungstrassen «Südlink» und «Südostlink» sich um Jahre verzögert, reicht die Leitungskapazität häufig nicht.

Dann werden Ökostromanlagen – darunter viele Windräder im Norden – «abgeregelt». Im Süden müssen konventionelle Kraftwerke hochfahren, die viel teureren Strom produzieren. «Es ist nicht immer möglich, den Strom von den Erzeugungsanlagen zu den Verbrauchern zu transportieren», formuliert ein Sprecher der Bundesnetzagentur diplomatisch.

So haben die für die Energiewende wichtigen Offshore-Windkraftanlagen in der Nordsee im vergangenen Jahr wegen Engpässen im Netz an Land weniger Strom geliefert als im Jahr zuvor. Insgesamt seien 19,24 Terawattstunden (TWh) Windenergie an Land übertragen worden, teilte Tennet der Deutschen Presse-Agentur mit. Das seien rund neun Prozent weniger als 2022. Rein rechnerisch könnte mit den 19,24 TWh der Jahresbedarf von rund sechs Millionen Haushalten gedeckt werden. Die gesamte Windstromerzeugung an Land und auf See in Deutschland bezifferte Tennet 2023 auf 148,97 TWh – 26,18 TWh mehr als im Jahr zuvor.

In den Kosten des Engpassmanagements enthalten ist die Vergütung für ungenutzten Ökostrom, der quasi für die Mülltonne erzeugt wird. Im Jahr 2022 zahlten die vier Übertragungsnetzbetreiber allein hierfür 900 Millionen Euro, 2021 waren es laut Bundesnetzagentur 800 Millionen.

2022 wurden nach Angaben eines Sprechers der Behörde knapp drei Prozent des Ökostroms abgeregelt, im Vergleich zur gesamten Stromerzeugung seien die Eingriffe gering.

Das Problem mit den Erdkabeln

Doch summiert sich dies über die Jahre auf eine zweistellige Milliardensumme. «Jetzt schon steigen durch die höher werdenden Netzentgelte infolge des großen Redispatchaufwandes in ganz Deutschland die Strompreise», sagt der Energieexperte Raimund Kamm.

Kamm ist Verfechter der Windenergie, steht mit dieser Einschätzung aber nicht allein: «Während Kosten für Redispatch Ausgaben sind, die verpuffen und keinen volkswirtschaftlichen Nutzen haben, zahlen sich Investitionen in die Strominfrastruktur langfristig aus», heißt es bei Tennet.

Nach ursprünglicher Planung hätten die zwei großen Gleichstromtrassen (HGÜ) schon 2022 fertig gestellt werden sollen. Der frühere Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) beharrte auf der Verlegung als Erdkabel, was die Fertigstellung bis 2027/28 verzögern wird. Ein prominenter Trassengegner war Freie-Wähler-Chef Hubert Aiwanger, der mittlerweile sogar eine dritte Leitung fordert.

Die Verlegung von Erdkabeln dauert nicht nur Jahre länger, sondern ist auch etwa doppelt so teuer wie der Freileitungsbau. Die Engpasskosten fließen in die bundesweit einheitlichen Übertragungsnetzentgelte ein, auch der Börsenstrompreis ist ein bundesweiter.

Die Entgelte für die örtlichen Verteilnetze sind regional unterschiedlich hoch, sollen aber ebenfalls vereinheitlicht werden. Die Netzentgelte insgesamt werden in diesem Jahr nach Berechnungen der Portale Verivox und Check24 um etwa ein Viertel teurer, für eine vierköpfige Familie etwa 100 Euro im Jahr.

«Umgekehrter Länderfinanzausgleich»

«Den tatsächlichen Kosten entsprechende Marktpreise wären im Norden niedriger und im Süden höher, in Bayern und Baden-Württemberg sehr hoch», sagt Ökonom Mathias Mier am Münchner Ifo-Institut. «Der Redispatch ist in dem Sinne ein umgekehrter Länderfinanzausgleich, von dem die Unternehmen in Süddeutschland sehr stark profitieren.»

Bei der Stromversorgung wird also ganz Deutschland an den höheren Kosten im Süden beteiligt, inklusive der politisch verursachten. «Das zahlen vor allem die Privathaushalte», sagt der Münchner Energiefachmann. «Auch wenn die Stromtrassen eines Tages fertig gestellt sind, wird das das Problem nicht lösen.»

Es gäbe eigentlich nur eine langfristige Lösung, meint der Wissenschaftler. «Und das wäre die Aufteilung Deutschlands in zwei oder mehr Strompreiszonen.» Norddeutschland hätte dann einen Wettbewerbsvorteil bezüglich Strompreisen.

Politik und Wirtschaft im Süden lehnen eine Aufteilung in zwei Zonen naturgemäß ab. Bayerns Staatsregierung hat mittlerweile umgeschwenkt und unterstützt sowohl den Trassenbau als auch Windräder.

«Der Netzaus- und -umbau muss dringend weiter beschleunigt werden», fordert der BDEW. «Insbesondere die großen HGÜ-Verbindungen müssen nun zeitnah fertiggestellt werden.»

Für eine sichere Stromversorgung notwendig wären nach allgemeiner Einschätzung auch neue (Gas)-Kraftwerke. Tennet beziffert den Bedarf auf 21 Gigawatt gesicherter Leistung bis 2031, davon zwei Drittel im Süden.

Von Carsten Hoefer, dpa