Am Anfang drehte sich alles um Erdöl und ein geopolitisches Kräftemessen. Als die Internationale Energieagentur (IEA) vor 50 Jahren inmitten der weltweiten Ölkrise gegründet wurde, ging es den westlichen Industriestaaten darum, der Organisation erdölexportierender Länder (OPEC) eine mächtige Institution entgegenzusetzen.
Nachdem die Exporteure dem Westen den Ölhahn zeitweise abgedreht hatten, war das Hauptziel, den eigenen Ölhunger in Zukunft verlässlich stillen zu können. Zum 50-jährigen Bestehen, das die internationale Organisation am Sitz in Paris an diesem Dienstag und Mittwoch begeht, stehen für IEA-Direktor Fatih Birol längst der Abschied von fossilen Energieträgern und die Notwendigkeit beschleunigter Anstrengungen für den Klimaschutz im Mittelpunkt. Dabei pocht er auf einen Schulterschluss der Industriestaaten mit dem Globalen Süden.
Als Motor des Klimaschutzes sieht Birol die Industriestaaten in der Pflicht, da sie für 60 Prozent des in den vergangenen 100 Jahren in die Atmosphäre geblasenen Kohlendioxids verantwortlich seien, zugleich aber nur 15 Prozent der Weltbevölkerung ausmachten. «Sie tragen also eine große Verantwortung, eine moralische Verantwortung im Globalen Norden, denn sie haben diese große Herausforderung geschaffen.» Außerdem erziele Klimaschutz nur bei weltweiten Anstrengungen Erfolge. «Die Emissionen haben keinen Pass, also wirken sie sich überall aus», sagte Birol der Deutschen Presse-Agentur in Paris.
Globaler Norden muss Klimaschutz unterstützen
Eine Tonne CO2 habe dieselben schädlichen Auswirkungen auf Deutschland, ganz egal, ob sie in Dortmund, Detroit oder Manila in die Luft gepustet werde. «Auch wenn die Emissionen in Deutschland morgen auf null gehen, werden die Auswirkungen des Klimawandels auf Deutschland sich nicht ändern, solange die anderen nicht in dieselbe Richtung gehen», sagte der IEA-Chef.
«Unter diesem Gesichtspunkt, und sei es auch nur aus Eigennutz, ist es meines Erachtens eine Aufgabe für den Globalen Norden, den Übergang zu sauberer Energie in den Schwellen- und Entwicklungsländern zu unterstützen, damit diese ihre Emissionen reduzieren können.» Nötig dazu seien Finanzierungshilfen durch internationale Finanzinstitutionen wie die Weltbank oder regionale Entwicklungsbanken, um saubere Energieprojekte in diesen Ländern zu fördern.
Die IEA berät aktuell 31 Regierungen von Australien bis Korea in Energiefragen und veröffentlicht regelmäßig Analysen zu Entwicklungen der verschiedenen Energieträger sowie den Aussichten und Bedingungen einer Energiewende. Beständig heißt es von der Agentur in Paris, der Umstieg auf Erneuerbare beschleunige sich, und eine Beschränkung der Erderhitzung auf 1,5 Grad bleibe noch erreichbar, wenn die Anstrengungen zum Verringern der CO2-Emissionen nur forciert würden. Zugleich aber vermeldete die IEA unlängst eine globale Rekordnachfrage nach Kohle sowie nach Erdöl. Wie passt das zusammen – und sind die Prognosen der Agentur schlicht zu optimistisch, wie Kritiker sagen – oder vom Wunschdenken mancher Mitgliedsstaaten geprägt?
Unwägbarkeiten begleiten Energiewende
Der tatsächliche Abschied vom Erdöl werde auch davon abhängen, ob die Staaten in der Lage seien, ihr weltweites Wirtschaftswachstum vom Energieverbrauch abzukoppeln, sagte kürzlich der Direktor der Denkfabrik The Shift Project, Matthieu Auzanneau, wie das Nachrichtenmagazin «L’Express» berichtete.
Alle Dekarbonisierungsszenarien enthielten außerdem sehr ehrgeizige Parameter für die Energieeffizienz, die Unwägbarkeiten unterlägen. Politische Umschwünge könnten zudem nationale Klimastrategien leicht infrage stellen. Es genüge, dass klimakonservative Regierungen an der Macht blieben oder an die Macht kämen, um den Ausstieg aus fossilen Energiequellen weiter in die Zukunft zu verschieben.
«Unser Handlungsspielraum ist heute sehr begrenzt. Daher müssen die Entscheidungen, die wir im Energiesektor treffen müssen, radikaler und grundlegender sein, als wenn wir diese Entscheidungen vor 20, 30 Jahren getroffen hätten», sagte Birol. «Wir haben nicht mehr viel Zeit.»
Wenn man die Klimaziele des Pariser Abkommens erreichen wolle, könne man sich keinen weiteren Anstieg der Nutzung fossiler Brennstoffe leisten. «Wir müssen uns also für eines von beiden entscheiden. Entweder wir nutzen weiterhin viele fossile Brennstoffe und können unsere Klimaziele nicht erreichen und beginnen auf einem Planeten zu leben, auf dem es viel mehr extreme Wetterereignisse, viel mehr Hitzewellen, Überschwemmungen, Regenfälle und anderes gibt, oder wir reduzieren unsere Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen.»
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