21. November 2024

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Vor 30 Jahren landete der Interflug für immer

Im April 1991 ging die Reise der DDR-Airline zu Ende, eine Geschichte mit Licht und Schatten. Was das mit der Kanzlerin zu tun hat - und wie man Stewardessen bei der Interflug nicht zu nennen wagte.

«Lady Agnes» hält Kurs Nordwest, seit mehr als drei Jahrzehnten. So lange schon steht die Passagiermaschine auf einer Wiese 60 Kilometer von Berlin – ausrangiert. Man kann in ihrer Kabine Hochzeit feiern. Die Iljuschin Il-62 ist eine der letzten Zeuginnen der Interflug.

Die staatliche Fluggesellschaft der DDR war der Stolz ihrer Crews und der Regierung, doch vor 30 Jahren landete die Interflug für immer. Es bleiben die Erinnerungen an Höhen und Tiefen. Und eine Zeit, in der Fliegen noch etwas Besonderes war.

«Saftschubse hätte damals niemand gesagt», sagt Andrea Beu, früher Flugbegleiterin bei der Interflug. «Stattdessen wurde man in Uniform in der S-Bahn geradezu bewundert und auch freundlich angesprochen.» Noch stärker als im Westen war Stewardess in der DDR ein absoluter Traumberuf, wie die Berlinerin bestätigt.

Denn Fliegen war ein Privileg, besonders wenn es in den Westen ging. Die noch als «Deutsche Lufthansa» (Ost) gestartete Interflug flog zu Zielen wie Bukarest, Havanna und Moskau, aber auch nach Kairo und Singapur, denn das brachte Westgeld in die Kasse. Die Crews für das «nichtsozialistische Wirtschaftsgebiet» wurden von der Stasi sorgsam ausgewählt. Verlässlichkeit war wichtig, «Republikflucht» musste unbedingt vermieden werden.

Das ist lange her. Am 30. April 1991 landete eine Tupolew aus Wien als letzte Interflug-Maschine in Berlin-Schönefeld, dem ehemaligen Zentralflughafen der DDR. Erst vor zwei Monaten wurde auch sein Terminal außer Dienst gestellt.

Sammler handeln auf Online-Marktplätzen mit Relikten der Fluggesellschaft, die 1958 nach aussichtslosem Streit mit der West-Lufthansa ihren neuen Namen erhielt: Flugzeug-Modelle, Kulturtaschen und Ehrennadeln, Pilotenmützen, Biergläser und Sahnekännchen – alles mit Interflug-Emblem. Aber auch die «Interflugfamilie» hält vielfach noch Kontakt untereinander. Zahlreiche Piloten, Bordingenieure, Navigatoren und Stewardessen feierten im Berliner Tierpark etwa den 50. Gründungstag der Interflug.

Bis Oktober 1990 war die Interflug mit ursprünglich 8000 Mitarbeitern für nahezu sämtliche Aufgaben der zivilen DDR-Luftfahrt zuständig, vom Verkehrs- über den Agrarflug bis hin zu den Flughäfen und der Flugsicherung. In ihren frühen Jahren hatte sie auch Inlandsflüge angeboten, etwa nach Barth und Heringsdorf an der Ostsee. Höhepunkte waren die Leipziger Messen mit ihren Sonderflugprogrammen. Ein Flug endete in der größten Flugzeugkatastrophe auf deutschem Boden: Bei Königs Wusterhausen nahe Berlin stürzte 1972 eine Iljuschin Il-62 ab, keiner der 156 Insassen überlebte.

In 33 Jahren Flugbetrieb spielten sich in den Maschinen aber auch skurrile Geschichten ab, wie sie der Kalte Krieg hervorbrachte. Beliebte Erzählungen kreisen um Einsätze mit westdeutschen Chartertouristen im Devisenflug nach Bulgarien, mit 150 Fischern von Montevideo in die DDR, einem Solidaritätsflug nach Hanoi mit Fahrrädern für Ho Chi Minhs Kämpfer oder über den Transport von 80 000 Küken von Budapest nach Syrien.

Interflug schaffte es auch ins Guinness-Buch der Rekorde: mit dem Nonstop-Flug eines Airbus A310 im November 1989 von Japan nach Schönefeld. Die meisten ahnten, dass auf jedem Flug ins nichtsozialistische Ausland immer auch ein Inoffizieller Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit an Bord war, um über das Wohlverhalten der Crew zu wachen.

Als unverheiratete junge Frau musste Stewardess Andrea Beu bis zum Fall der Mauer warten, bis sie in den Westen durfte. «Von der Dienstzeit her wäre ich wohl schon drangewesen, aber das konnte man nicht einfordern», erzählt die heutige Online-Redakteurin. Es folgten noch einige Monate mit interessanten Reisen nach Kairo oder Brazzaville, bis die Treuhand 1991 die Liquidation der Fluggesellschaft mit zuletzt noch rund 3000 Beschäftigten beschloss. «Ich habe davon aus der Zeitung erfahren und bin dann zur Demo vor der Treuhand. Wir waren so enttäuscht.»

Die damalige Betriebsrätin und Umlaufplanerin Ilona Ritter sagt: «Wir waren alle davon ausgegangen, dass wir unsere Strecken weiterfliegen würden und sind dann aus allen Wolken gefallen.» In enger Kooperation mit den Westgewerkschaften hatte man sich auf eine Übernahme durch Lufthansa oder British Airways vorbereitet, die letztlich beide nicht zum Zuge kamen. «Sehr mysteriös» sei das damals mit der Treuhand abgelaufen, meint Ritter, die später für die Vereinigung Cockpit Tarife verhandelte. Als nur wenige Monate später die Lufthansa selbst knapp vor der Pleite stand, wurde deutlich, dass der westdeutsche Kranich wohl bereits zu schwach für eine Übernahme gewesen wäre.

Nach dem Ende der Interflug spielten einige ihrer Flugzeuge noch eine wichtige Rolle im vereinten Deutschland. Mit einem 1989 gebauten Airbus A310 etwa flog jahrelang sogar die Bundeskanzlerin. Die Flugbereitschaft hatte die Maschine übernommen – von Erich Honecker über Franz Josef Strauß bestellt, von Merkel geflogen.

Von Christian Ebner und Burkhard Fraune, dpa