Zukunftspläne in den Reden, Vergangenheitsbewältigung in der Aussprache: Bei der Hauptversammlung von Volkswagen waren Konzernführung und Aktionäre hin- und hergerissen.
Vorstandschef Herbert Diess erklärte auf dem Online-Treffen am Donnerstag seine frisch vorgelegte Strategie in Sachen E-Mobilität, Software und Dienstleistungen. Doch viele Anteilseigner bohrten auch noch einmal zum «Dieselgate»-Vergleich mit Ex-Managern, zur Berechnung der Vorstandsgehälter und zum Umfang der Klimaschutz-Anstrengungen nach.
«Es ist im Interesse des Unternehmens.» Diesen pauschalen Passus hörte man oft in den Reaktionen auf kritische Fragen der Eigentümer. Einen echten Schlagabtausch konnte es nicht geben, denn vor der ins Netz übertragenen Veranstaltung in Berlin mussten die Beiträge eingereicht werden. Das hielt Aktionäre nicht davon ab, gewissermaßen ihr virtuelles Stirnrunzeln zu mehreren Punkten anzubringen.
Vieles drehte sich um ein Thema, das VW endlich hinter sich bringen will. Im Juni hatte der Aufsichtsrat nach jahrelanger Auftragsprüfung durch die Kanzlei Gleiss Lutz einen Vergleich mit den Anwälten und Versicherern früherer Topmanager zum Dieselskandal geschlossen. Im Fokus vor allem: die Mitverantwortung von Ex-Chef Martin Winterkorn. Er zahlt 11,2 Millionen, die Gesamtsumme beträgt über 280 Millionen Euro. Sie enthält auch Ansprüche an Ex-Audi-Chef Rupert Stadler sowie die Ex-Porsche- und -Audi-Manager Wolfgang Hatz und Stefan Knirsch.
Rechtsvorständin Hiltrud Werner bemühte häufig den Begriff «Schlussstrich». Aber die Aktionäre wollten sich nicht abwimmeln lassen. Wie hoch sind die bisherigen Schäden der 2015 aufgeflogenen Abgasmanipulationen für VW? Kommt noch mehr zusammen als die derzeit 32,3 Milliarden Euro? Sind die ausgehandelten Manager-Beiträge ausreichend hoch? Und überhaupt schon zulässig, zumal Strafprozesse vor öffentlichen Gerichten noch laufen oder sogar erst anstehen?
Wegen solcher Bedenken wollten mehrere Aktionäre, unter ihnen auch größere Finanzanleger, den Entschädigungs-Deal nicht mittragen. Vize-Aufsichtsratschef und IG-Metall-Boss Jörg Hofmann sah keine Probleme mit einer Art privater Neben-Justiz: «Angesichts der umfassenden Untersuchung der Dieselthematik ist nicht damit zu rechnen, dass sich aus laufenden Verfahren neue Erkenntnisse ergeben. Daher sind Aufsichtsrat und Vorstand überzeugt, dass es im Interesse von Volkswagen ist, die Vergleichsvereinbarungen zum jetzigen Zeitpunkt abzuschließen.» Die Höhe der Zahlungen sei angemessen.
Die stimmberechtigten Stammaktionäre – vertreten vor allem durch die Familien Porsche/Piëch, Niedersachsen und Katar – stimmten am Ende sämtlichen Punkten und Personalien auf der Tagesordnung zu.
Finanzchef Arno Antlitz ließ bei der Frage der Gesamt-Schadensumme ein Hintertürchen offen: Womöglich müssten Rückstellungen angepasst werden, falls sich aus weiteren Verfahren Neues ergeben sollte. Auch politisch ist der Diesel-Vergleich umstritten. So kritisierten ihn die Grünen in Niedersachsen als Vorfestlegung, ehe die Rolle der Manager juristisch geklärt sei. Das Land ist zweitgrößter Aktionär bei VW. Mitte September beginnt vor dem Landgericht Braunschweig der Diesel-Betrugsprozess gegen Winterkorn und weitere Ex-Führungskräfte.
Gleiss Lutz erhielt für die interne Durchleuchtung großer Datenmengen und das Führen Hunderter Gespräche laut Aufsichtsrat einen niedrigen dreistelligen Millionenbetrag. Informationen aus Gerichtsverfahren oder Ermittlungsbehörden habe man – «wo möglich» – einbezogen. Werner sagte, strafrechtliche Fragen aus den USA, wo ein Haftbefehl gegen Winterkorn vorliegt, hätten für den Vergleich keine Relevanz gehabt.
Kritik gab es auch am neuen Vergütungsmodell für die Vorstände. Dass jährliche Bonuszahlungen nun an Ziele bei Klima, Diversität und guter Unternehmensführung gebunden sind, trifft einerseits auf Zustimmung. Aber dies müsse dann auch für den Mehr-Jahres-Bonus gelten, forderte etwa die Deutsche-Bank-Fondstochter DWS. Zudem regte sich Widerstand gegen die Wiederwahl von Aufsichtsratschef Hans Dieter Pötsch und der Piëch-Nichte Louise Kiesling – dem Kontrollgremium des größten deutschen Unternehmens mangle es an Unabhängigkeit.
Bei alldem hatten es die diversen VW-Vorhaben für die kommenden Jahre auf der Agenda nicht einfach. Die Bekanntgabe der Strategie «New Auto» kam in der vorigen Woche erst nach der Frist für Gegenanträge, so dass Diess die zentralen Themen noch einmal durchging.
Weitere Investitionen in Elektro- und Hybridautos sollen den Konzern zum Weltmarktführer für E-Fahrzeuge machen. In der ersten Hälfte dieses Jahres habe man in Europa schon einen Marktanteil von 26 Prozent erreicht, sagte Diess. Bei Rentabilität und Produktionskosten sei eine Angleichung an Verbrenner bald in Sicht. Außerdem seien die Batteriezell-Pläne und Ladenetz-Kooperationen wichtige Bausteine.
Gegenwind beim Thema Klimaschutz blieb nicht aus. VW will bis 2050 bilanziell CO2-neutral sein, der Konzern schärfte einige Ziele nach. Die Umweltorganisation BUND lobt den schrittweisen Ausstieg aus dem Verbrenner – moniert aber, es würden «zu viele zu große, zu schwere und übermotorisierte Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor verkauft».
Greenpeace-Verkehrsexpertin Marion Tiemann betonte: «Es ist die Verantwortung von Herbert Diess, diesen gigantischen CO2-Fußabdruck schnell zu verkleinern, indem VW aufhört, klimaschädliche Verbrenner auf die Straßen zu bringen.» Schwierig bleibt die Versorgungskrise bei Elektronik-Chips: Im ersten Halbjahr verhinderten die Engpässe die Produktion einer hohen sechsstelligen Anzahl von Konzernautos.
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