Zu Beginn des Strafprozesses in der VW-Dieselaffäre haben die Ankläger die aus ihrer Sicht klare Mitverantwortung von Ex-Konzernchef Martin Winterkorn an der Manipulation von Millionen Autos hervorgehoben.
Nicht nur leitende Ingenieure und einige Mitglieder des mittleren Managements, sondern auch der frühere Vorstandsvorsitzende habe deutlich vor dem Einräumen des Betrugs gegenüber den US-Behörden von der Täuschungsstrategie gewusst, erklärte eine Staatsanwältin am Donnerstag in der ersten Sitzung. Vor dem Braunschweiger Landgericht sind neben Winterkorn vier weitere ehemalige Führungskräfte des Autobauers angeklagt.
Der langjährige VW-Chef, der kurz nach dem Auffliegen des Skandals Ende September 2015 zurückgetreten war, muss zunächst nicht persönlich in der Hauptverhandlung erscheinen – sein Verfahrensteil wurde vom Gericht aufgrund gesundheitlicher Probleme abgetrennt. Winterkorns Rolle war aber bereits zum Start des Prozesses Thema. In der Verlesung der Anklage untermauerte und konkretisierte die Staatsanwaltschaft ihre Vorwürfe an den früheren Topmanager.
So habe Winterkorn nach Überzeugung der Strafverfolger etwa über die Notiz eines Vertrauten in seiner «Wochenendpost» relativ frühzeitig erfahren, dass Dieselautos in den USA bei Tests von Wissenschaftlern im Jahr 2014 die zulässigen Stickoxid-Grenzwerte um das 15- bis 35-fache überschritten. Er soll dies den Ermittlungsergebnissen zufolge zur Kenntnis genommen haben – die weitere Verwendung der Betrugssoftware habe er aber nicht stoppen lassen. «Er entschied sich gegen eine Offenlegung und hoffte, die Rechtsverstöße weiter verschweigen zu können», so die Staatsanwaltschaft.
Spätestens bei einer Manager-Besprechung, dem sogenannten «Schadenstisch», Ende Juli 2015 sei das «defeat device» – also die Software, die die volle Abgasregelung nur in Testsituationen aktivierte und im normalen Fahrbetrieb abschaltete – dann offen thematisiert worden. Winterkorn habe seinen Vertrauten zur Vorbereitung angerufen. Der hohe Mitarbeiter habe ihm gegenüber dabei erklärt: «Wir haben beschissen.» Während der Sitzung sei schließlich unter anderem der Umfang drohender Strafzahlungen für rund 500.000 manipulierte Dieselfahrzeuge in den Vereinigten Staaten diskutiert worden. Doch der «befürchtete Wutausbruch» Winterkorns, den leitende Ingenieure erwartet hätten, sei ausgeblieben.
Alle Anwesenden seien sich einig gewesen, auch noch zu diesem Zeitpunkt die Abschaltfunktion der Emissionsreinigung weiterhin gegenüber der kalifornischen Umweltbehörde CARB zu verschweigen, so die Ankläger. Ein in Braunschweig ebenfalls angeklagter hoher Entwickler habe daraufhin bemerkt: «Shit, voll schiefgelaufen.»
Den fünf früheren Managern und Ingenieuren wird gewerbs- und bandenmäßiger Betrug vorgeworfen. Im Fall einer Verurteilung drohen Freiheitsstrafen von wenigstens sechs Monaten, in schweren Fällen von bis zu zehn Jahren. Teilweise kommen durch die in Zulassungsverfahren und Papieren falsch deklarierten Diesel-Abgaswerte noch Delikte wie Steuerhinterziehung, strafbare Werbung sowie Beihilfe hinzu.
Wegen des großen öffentlichen Interesses eröffnete der Vorsitzende Richter Christian Schütz die Hauptverhandlung in der Braunschweiger Stadthalle. Die rechtlichen Folgen des Abgasskandals kosteten VW bisher mehr als 32 Milliarden Euro. Dieselkunden wurden in manchen Ländern bereits entschädigt, es laufen allerdings auch noch Schadenersatz-Prozesse mit Investoren sowie weitere Strafverfahren.
Kurz vor dem Prozessauftakt in Braunschweig hatte die Strafkammer des Landgerichts die geplanten Sitzungen mit Winterkorn «zur gesonderten Verhandlung und Entscheidung» abgetrennt. Begründet wurde das mit gesundheitlichen Problemen des 74-Jährigen nach einer Operation. Die Staatsanwaltschaft legte Beschwerde ein.
133 Verhandlungstage bis in den Sommer 2023 sind geplant. «Es ist ein umfangreicher Prozess», sagte ein Gerichtssprecher – «der erste, der gegen Mitarbeiter von VW gerichtet ist und in dem es um eine große Schadenssumme geht, um eine Vielzahl von Betroffenen, um Vertrauen.»
Nachdem die Staatsanwaltschaft vor der Zulassung der Anklage einen Teil ihrer Vorwürfe präzisieren musste, verschärfte das Gericht diese noch. Ein Sprecher erklärte: «Die Kammer hatte eine andere rechtliche Auffassung als die Staatsanwaltschaft.» Nach umfangreicher Prüfung der Akten und dem Zwischenverfahren sei sie zur Auffassung gekommen, dass es nicht nur einfacher, sondern bandenmäßiger Betrug war.
Die formale Abtrennung des Winterkorn-Teils rechtfertigte das Gericht mit dessen Zustand nach einer Operation: «Professor Winterkorn ist aus gesundheitlichen Gründen heute nicht verhandlungsfähig. Die Verhandlung sollte aber jetzt beginnen. Sie wurde schon zweimal verschoben, es sind vier weitere Angeklagte, gegen die seit 2015 ermittelt wird. Außerdem ist die Kammer der Auffassung, dass der Vorwurf gegen Professor Winterkorn isoliert behandelt werden kann, weil ihm ein zeitlich begrenzter Abschnitt vorgeworfen wird.»
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