Nach langem Ringen gibt es einen mehrheitsfähigen Kompromiss für ein abgeschwächtes europäisches Lieferkettengesetz. Am Mittwoch hat das EU-Parlament in Straßburg für das Vorhaben gestimmt. Deutschland unterstützt das Vorhaben zwar nicht, muss es aber trotzdem umsetzen.
Was ist das Ziel des EU-Lieferkettengesetzes?
Das EU-Lieferkettengesetz zielt darauf ab, Menschenrechte weltweit zu stärken. Große Unternehmen sollen zur Rechenschaft gezogen werden können, wenn sie von Menschenrechtsverletzungen wie Kinder- oder Zwangsarbeit profitieren. Sie sollen zudem Berichte erstellen, inwiefern ihr Geschäftsmodell mit dem Ziel vereinbar ist, die Erderwärmung auf 1,5 Grad im Vergleich zur vorindustriellen Zeit zu begrenzen.
Betroffene Unternehmen müssen nach Angaben des Parlaments etwa vertragliche Zusicherungen ihrer Zulieferer einholen. «Auch müssen sie wenn nötig kleine und mittlere Unternehmen, mit denen sie Geschäfte machen, unterstützen, damit diese den neuen Verpflichtungen nachkommen können», so die Mitteilung.
Wie wurde das Gesetz im Verhandlungsprozess abgeschwächt?
Ursprünglich sah ein Kompromiss von Unterhändlern der EU-Staaten und des Europaparlaments vor, dass Unternehmen mit mehr als 500 Beschäftigten und mindestens 150 Millionen Euro Umsatz von den Vorgaben betroffen sind. Diese Grenze wurde jedoch auf 1000 Beschäftigte und 450 Millionen Euro angehoben, nach einer Übergangsfrist von fünf Jahren. Nach drei Jahren sollen die Vorgaben zunächst für Firmen mit mehr als 5000 Beschäftigten und mehr als 1,5 Milliarden Euro Umsatz weltweit gelten, nach vier Jahren sinken diese Grenzen dann auf 4000 Mitarbeitende und 900 Millionen Umsatz.
Unterschiede zum deutschen Lieferkettengesetz
Einer der größten Unterschiede ist die Haftbarkeit. So ist im deutschen Gesetz ausgeschlossen, dass Unternehmen für Sorgfaltspflichtverletzungen haftbar sind. Die EU-Variante lässt dies zu. Darüber hinaus gilt das deutsche Lieferkettengesetz für Unternehmen mit 1000 oder mehr Mitarbeitenden. In den kommenden Jahren sind von der deutschen Version also mehr Unternehmen betroffen als von der EU-Variante.
Was passiert bei Verstößen gegen das Gesetz?
Die EU-Staaten sollen eine Aufsichtsbehörde benennen, die den Unternehmen auf die Finger guckt. Diese soll auch Strafen gegen Unternehmen verhängen können, wenn diese sich nicht an die Vorschriften halten. Es können Geldstrafen von bis zu 5 Prozent des weltweiten Nettoumsatzes eines Unternehmens fällig werden.
Wie sehen Wirtschaftsexperten das Vorhaben?
Die Deutsche Industrie- und Handelskammer (DIHK) sieht das Vorhaben trotz der Änderungen kritisch. Diese seien aus Sicht der Wirtschaft zwar positiv zu bewerten aber «auch leicht abgespeckt bleibt die EU-Lieferkettenrichtlinie wenig praxistauglich und wird viel Bürokratie mit sich bringen», sagte DIHK-Präsident Peter Adrian. Rechtsunsicherheit bestehe weiter.
Der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Marcel Fratzscher, hatte hingegen eindringlich für das Vorhaben ausgesprochen. Deutschland würde ohne eine EU-Version des Gesetzes einen erheblichen wirtschaftlichen Schaden erleiden, sagte er.
Welche Rolle spielt Deutschland bei der Verhandlung des Gesetzes?
Deutschland hat sich bei der Abstimmung im Ausschuss der ständigen Vertreter der EU-Mitgliedstaaten enthalten. Dies lag – wie des Öfteren – an Uneinigkeit innerhalb der Bundesregierung. Wichtige EU-Gesetze werden in Brüssel immer wieder ohne deutsche Zustimmung verabschiedet. Wenn sich die Bundesregierung auf keine einheitliche Position einigen kann, schwächt das die Verhandlungsposition Deutschlands in Brüssel.
In diesem Fall hatte die FDP darauf gedrängt, dass Deutschland dem Gesetz nicht zustimmt, aus Sorge vor Bürokratie und rechtlichen Risiken für Unternehmen. Politiker von SPD und Grünen hingegen befürworten das Vorhaben.
Wie geht es weiter?
Die Richtlinie muss nun noch formell von den EU-Staaten auf Minister-Ebene abgesegnet werden. Das gilt aber als Formsache, denn Mitte März hatte im Ausschuss der ständigen Vertreter der Mitgliedstaaten eine ausreichende Mehrheit der EU-Staaten ihre Zustimmung signalisiert. Sobald der Gesetzestext im Amtsblatt der EU veröffentlicht wurde, haben die EU-Staaten gut zwei Jahre Zeit, die neuen Regeln in nationales Recht umzusetzen.
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