Morgens Uniform, abends Online-Konferenzen: Für den ehemaligen Oberst einer israelischen Eliteeinheit, Bobi Gilburd, gehörte das in den vergangenen drei Wochen zum Alltag. «Sobald der Dienst vorbei war, zog ich mich um, setzte mich in mein Auto vor der Militärbasis und rief Kunden in den USA oder Europa an», sagt der 45-Jährige, der 26 Jahre in Israels Eliteeinheit des Cyber-Geheimdiensts 8200 gearbeitet hat. Eigentlich sei er nun in der freien Wirtschaft tätig, aber wegen des Kriegs gegen die im Gazastreifen herrschende islamistische Hamas zum Militär zurückgekehrt.
Seit ein paar Tagen sitzt er wieder in seinem Büro in Tel Aviv. Wie lange, weiß er nicht. Zehn Prozent der Angestellten seiner Hightech-Firma zählen zu den mehr als 300.000 einberufenen Reservisten im Land. «Wir können es uns nicht leisten, nicht mehr zu arbeiten», sagt Gilburd. Viele seiner Kollegen arbeiten vom Handy oder dem Laptop von der Front aus. Seit Kriegsbeginn am 7. Oktober habe man jede Deadline eingehalten. Die meisten Gespräche fänden nun online statt, oft auch abends. «Die Kunden bringen aber sehr viel Verständnis mit, sie wissen, wir sind hier im Krieg.» Das gelte auch bei Raketenalarm. «Unzählige Meetings wurden unterbrochen, aber so ist das eben», sagt Gilburd.
Die Produktivität aufrechtzuerhalten, sei extrem wichtig. Sein Unternehmen arbeitet im Bereich Cybersicherheit. «Die Branche entwickelt sich so rasant, wir können nicht sagen, wir sind dann mal weg und in ein paar Monaten wieder zurück.»
Zugpferd der Wirtschaft: Tech-Branche betroffen
Die Start-up- und Hightech-Branche in dem Zehn-Millionen-Einwohnerland gilt als treibender Motor der israelischen Wirtschaft. Im vergangenen Jahr machte sie laut israelischer Innovationsbehörde mehr als 18 Prozent des Bruttoinlandsprodukts aus und rund 50 Prozent der Exporte.
Gerade dort seien viele junge Menschen beschäftigt, die nun an die Front gerückt seien, sagt Andrea Frahm, Repräsentantin des Bundesverbands mittelständische Wirtschaft (BVMW) in Tel Aviv. Unmittelbare Folgen habe der Krieg aber auch auf Branchen wie Tourismus und Handel, wo zum Teil Kurzarbeit herrsche.
Mehr als die Hälfte der Unternehmen im Land beklagt laut israelischem Statistikbüro heftige Einbußen. Landwirtschaftsbetriebe und Baustellen stünden besonders im Grenzgebiet komplett still, sagt Eran Yashiv, Ökonom an der Universität Tel Aviv. Rund eine Viertel Million Israelis haben wegen des Kriegs ihren Wohnort verlassen. Die Hälfte davon nimmt an staatlich finanzierten Evakuierungsprogrammen teil. Dazu kommen die Kosten für den Wiederaufbau zerstörter Städte.
Auch der Tourismus kam seit Kriegsbeginn weitgehend zum Erliegen. Leere Strände in Tel Aviv sowie eine ausgestorbene Altstadt Jerusalem zeigen das Ausmaß. Kaum noch eine Fluggesellschaft fliegt Israel an. Die wenigen Reisenden, die am Flughafen Ben Gurion bei Tel Aviv landen, berichten von leeren Terminals. Der israelische Schekel hat den tiefsten Stand zum Dollar seit mehr als 20 Jahren erreicht. Die US-Bank JPMorgan schätzt, dass Israels Wirtschaftsleistung in diesem Quartal im Jahresvergleich um elf Prozent schrumpfen könnte.
Laut Ökonom Yashiv ist es noch zu früh für Prognosen. «Alles hängt vom weiteren Kriegsverlauf ab.» Die Folgen für Israels Wirtschaft könnten schwerer sein als bei vorherigen Kriegen. Entscheidend sei, ob sich weitere Fronten verschärfen, wie etwa mit der libanesischen Hisbollah-Miliz oder, ob sich der Iran noch direkter beteiligt.
Direkte Auswirkungen auf deutsche Unternehmen
Der Krieg trifft auch deutsche Unternehmen, die in Israel aktiv sind. «Einige fahren erstmal auf Sicht und warten mit geplanten Investitionen ab», sagt BVMW-Repräsentantin Frahm. «Viele Expats sind abgereist und arbeiten vorerst von Deutschland aus.» Dass Firmen nun ihre Geschäfte in Israel im großen Stil aufgeben, beobachtet Frahm aber nicht. Gerade in der Hightech-Branche bestünden enge Verbindungen zwischen Israel und Deutschlands Mittelstand. «Wir arbeiten nun daran, in den nächsten Monaten geplante Konferenzen und Veranstaltungsformate zwischen Hightech- und Industriefirmen umzuplanen oder auf unbestimmte Zeit zu verschieben.»
Deutschland und Israel führen wirtschaftlich enge Beziehungen – wenngleich Israel ein relativ kleiner Handelspartner der Bundesrepublik ist. 103 deutsche Firmen sind laut Bundesbank mit Niederlassungen und etwa 10.000 Beschäftigten in Israel vertreten.
Wegen des Kriegs gibt es in Deutschland schon Vorsichtsmaßnahmen. So analysiert das Bonner Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte die Gefahr möglicher Lieferausfälle aus Israel. Aktuell liege bei acht Wirkstoffen ein «potenziell einschränkender Sachverhalt» vor, die nun gesondert geprüft werden. Der israelische Pharmakonzern Teva gibt an, die Produktion sei «noch weitgehend unbeeinträchtigt». Das Unternehmen, das als weltweit führend bei Nachahmer-Arzneien gilt und in Deutschland mit Ratiopharm vertreten ist, hält «Notfallpläne mit Backup-Produktionsstandorten bereit».
Optimismus trotz Krieg
Der Präsident von Israels Zentralbank, Amir Yaron, äußerte sich trotz allem optimistisch: «Die israelische Wirtschaft ist robust und stabil.» Man habe es früher verstanden, sich von schwierigen Zeiten zu erholen und schnell zu Wohlstand zurückzukehren. «Ich habe keinen Zweifel daran, dass dies auch dieses Mal der Fall sein wird.»
Davon ist auch Oberst Bobi Gilburd überzeugt. Er beobachte viel Kreativität. «Soldaten von der Front rufen mich an und sagen, sie haben diese oder jene neue Idee». Er sei sicher, dass die eine oder andere nach dem Krieg in neue Unternehmen münden werde.
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