23. November 2024

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Zahl der überschuldeten Verbraucher auf Rekordtief

Die Entwicklung überraschte sogar die Experten. Doch rechnen sie schon bald mit einer Trendwende. Und auch die Verbraucherschützer sehen keinen Grund zur Entwarnung.

Trotz der Corona-Pandemie ist die Zahl der überschuldeten Personen in Deutschland in diesem Jahr auf ein Rekordtief gefallen.

Insgesamt zählte die Wirtschaftsauskunftei Creditreform in ihrem am Mittwoch in Neuss veröffentlichen «Schuldneratlas 2021» rund 6,16 Millionen überschuldete Verbraucher, rund 700.000 weniger als im Vorjahr. Dies ist der niedrigste Wert seit Beginn der Auswertungen im Jahr 2004. Die Überschuldungsquote lag damit erstmals unter 9 Prozent.

Die Entwicklung überraschte die Experten. Der Leiter der Wirtschaftsforschung bei Creditreform, Patrik-Ludwig Hantzsch, sprach von einem «Überschuldungs-Paradoxon». Die Folgen der Corona-Pandemie seien dank der andauernden staatlichen Hilfsmaßnahmen wie Kurzarbeitergeld und Überbrückungshilfen bei der Überschuldung nicht akut spürbar. Doch rechnet er schon bald mit einer Trendwende. Und auch Verbraucherschützer sehen keinen Grund zur Entwarnung.

Positiver Trend könnte schon bald wieder kippen

Hantzsch betonte, viele überschuldete Verbraucherinnen und Verbraucher hätten offenbar die eingeschränkten Konsummöglichkeiten in der Pandemie genutzt, um mit dem gesparten Geld Schulden zurückzuzahlen. Doch gebe es einige Anzeichen, dass der positive Trend schon bald kippen könnte und die negativen Folgen der Krise «zeitverzögert und mit Langzeitwirkung auftreten».

Der Experte befürchtet, dass aktuelle Megatrends wie gestörte Lieferketten, steigende Energiepreise und anhaltende Inflation sich erst auf die Wirtschaft und dann auf die Geldbeutel der Verbraucher auswirken werden. Schon Ende nächsten Jahres oder im übernächsten Jahr könnten die Überschuldungsquoten deshalb wieder ganz anders aussehen. Überschuldung liegt den Experten zufolge vor, wenn der Schuldner die Summe seiner fälligen Zahlungsverpflichtungen mit hoher Wahrscheinlichkeit über einen längeren Zeitraum nicht begleichen kann – oder kurz: die Gesamtausgaben die Einnahmen übertreffen.

Kein Grund für Entwarnung

Auch der Überschuldungsexperte Christoph Zerhusen von der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen sieht in den aktuellen Zahlen keinen Grund zur Entwarnung. Sie zeigten zwar, dass die staatlichen Maßnahmen wie Kurzarbeitergeld oder die Verlängerung der Insolvenzantragspflicht die Folgen der Pandemie erst einmal wirksam abgefedert hätten und dass viele Menschen besonnen mit der Krise umgegangen seien. Aber das sei leider nur eine Momentaufnahme. «Die staatlichen Maßnahmen hatten vor allem eine aufschiebende Wirkung. Zeitversetzt werden die Zahlen wieder ansteigen», ist Zerhusen überzeugt.

Dafür gibt es einige Anzeichen. Nach einer Umfrage von Creditreform klagt noch immer fast ein Drittel der Haushalte – rund 13,5 Millionen insgesamt – über Einbußen beim Haushaltsnettoeinkommen durch die Pandemie. Gleichzeitig erhöhen die in der Folge der Krise steigenden Miet- und  Immobilienpreise, die explodierenden Energiekosten sowie der allgemeine Anstieg der Lebenshaltungskosten den finanziellen Druck auf viele Haushalte. Deshalb wachse bei vielen Menschen bereits wieder die Angst, in Zukunft die eigenen regelmäßigen Verbindlichkeiten nicht mehr begleichen zu können, berichtete Hantzsch.

Altersarmut weiter großes Problem

Sorgen bereitet weiter auch das Thema Altersarmut. Als einzige Altersgruppe wiesen die 60- bis 69-Jährigen auch 2021 wieder einen Anstieg der Überschuldungsfälle auf. Insgesamt zählte Creditreform in dieser Altersgruppe 769.000 Überschuldungsfälle, 6 Prozent mehr als im Vorjahr.

Die Lage bei Seniorinnen und Senioren, Kleinselbstständigen und Geringverdienern sei weiterhin besorgniserregend, berichtete auch Verbraucherschützer Zerhusen. Das zeige sich täglich in den Schuldnerberatungen. «Die Mieten in den Ballungsräumen steigen stetig an, die Energie- und Lebensmittelpreise schießen ebenfalls in die Höhe.» Kämen dann noch anhaltende Einkommenseinbußen durch Kurzarbeit oder Ähnliches hinzu, stehe so manchem das Wasser schnell bis zum Hals, warnte Zerhusen.

«Spätestens im Frühjahr, wenn viele Nachzahlungen für Gas und Strom fällig werden, wird sich diese Entwicklung noch beschleunigen», prognostiziert der Überschuldungsexperte. Er rät von Überschuldung betroffenen Menschen, sich möglichst frühzeitig in einer amtlich anerkannten Schuldner- und Insolvenzberatungsstelle Hilfe zu holen.

Von Erich Reimann, dpa