Eine wachsende Zahl großer deutscher Unternehmen will wegen der lahmenden Impfkampagne den Schutz der Mitarbeiter vor dem Coronavirus in die eigenen Hände nehmen.
Dax-Konzerne wie die Allianz und die Deutsche Telekom sind ebenso bereit, die eigenen Belegschaften durch Betriebsärztinnen und -ärzte impfen zu lassen wie die chemische Industrie, der Mischkonzern Baywa oder die den Sparkassen verbundene Versicherungskammer. «Wir stehen zu unserem Angebot, die Impfstrategie durch einen koordinierten Einsatz von Betriebsärzten zu unterstützen», sagte Arbeitgeberpräsident Rainer Dulger.
In vielen Unternehmen und Wirtschaftsverbänden löst der langsame Fortschritt der Impfkampagne wachsenden Ärger aus, da der Lockdown und die Corona-Beschränkungen des Alltags große volkswirtschaftliche Schäden bedeuten. Aus den auf dem Impfdashboard des Bundes veröffentlichten Zahlen geht hervor, dass bis zum Mittwoch knapp 10,4 Millionen Impfdosen nach Deutschland geliefert wurden, davon aber über ein Drittel – 3,5 Millionen Dosen – bislang nicht verimpft war. Impfungen durch Betriebsärzte sind in der Strategie des Bundes zwar vorgesehen, aber nicht kurzfristig.
Die Arbeitgeber fordern die Klärung der offenen Fragen. Eine der wichtigsten: Wer zahlt den Schadenersatz für mögliche Impfschäden? Diese Sorge treibt Mediziner ebenso um wie Unternehmen: «Die Haftung für alle im Zusammenhang mit Impfungen möglichen Schäden muss so geregelt sein, dass sie kein Hemmnis gegen eine Impfbeteiligung der Betriebsärzte darstellt», heißt es in einem Papier des Arbeitgeberverbands, über das das «Handelsblatt» berichtete.
Nach Analyse des Statistikportals «Our World in Data» war Großbritannien bis Dienstag mit 31,8 verabreichten Impfdosen pro 100 Einwohner viermal schneller vorangekommen als Deutschland mit 7,9. Effizienter als Deutschland impfen demnach unter anderem auch Polen, Griechenland und Portugal.
Seinem Ärger Luft macht Baywa-Vorstandschef Klaus-Josef Lutz, der den Fortschritt der Impfungen in Deutschland als «skandalös langsam» kritisiert und den Impfstoff für die gut 20 000 Mitarbeiter des MDax-Unternehmen auf Firmenkosten beschaffen würde.
«Ich verstehe nicht, dass die Hausärzte, die jedes Jahr 20 bis 25 Millionen Grippeimpfungen durchführen, nicht in die Impfkampagne eingebunden sind», sagte der Topmanager. Lutz fordert den Rücktritt von Thomas Mertens, des Vorsitzenden der Ständigen Impfkommission.
«Wir bereiten uns aktuell darauf vor, unseren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern an allen großen Standorten in Deutschland die Möglichkeit zu einer Corona-Impfung anzubieten», heißt es bei der Allianz in München. «Dafür planen wir bis zu 25 Impfstraßen auf unseren Betriebsgeländen einzurichten», sagte eine Sprecherin des größten deutschen Versicherers.
«Die Vorbereitungen treffen wir jetzt, damit wir loslegen können, sobald es genügend Impfstoff gibt und Mitarbeiterimpfungen gemäß der Nationalen Impfstrategie möglich sind.» Die Chefetage der deutschen Allianz-Gesellschaft geht in ihren Überlegungen bereits darüber hinaus: «Weitergehende Unterstützungen wie zum Beispiel Impfungen von Familienangehörigen unserer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind derzeit bei uns in Diskussion.»
In Bonn betonte die Telekom, dass sie auf Wunsch und mit Unterstützung der Behörden ihre «bewährte Logistik» für die alljährlichen Grippeimpfungen auch für andere Impfstoffe einsetzen könne, wie ein Sprecher sagte.
Aktiv werden will auch die chemische Industrie: «Wenn voraussichtlich ab April mehr Impfstoff zur Verfügung steht, müssen wir alle Kapazitäten nutzen, um ihn in den Arm zu bringen», erklärte Kai Beckmann, der Präsident des Chemie-Arbeitgeberverbands BAVC, dessen Mitgliedsunternehmen mehr als eine halbe Million Menschen beschäftigen.
Die Versicherungskammer hat ihre Belegschaft bereits in einem Schreiben informiert, dass das Unternehmen gern die Betriebsärztinnen und -ärzte in Marsch setzen würde. «Wir stehen bereit», hieß es in der Münchner Zentrale des öffentlichen Versicherers.
Dies sind nur einige Unternehmen, weitere stehen bereit. Denn allein der seit Dezember geltende Lockdown für Handel und Gastronomie bedeutet nach einer Schätzung des Münchner Ifo-Instituts für die deutsche Wirtschaft jede Woche verlorene Wertschöpfung von 2,5 Milliarden Euro.
Sollte es wegen zu langsamer Impfungen zur befürchteten dritten Welle kommen und der Lockdown verschärft werden, könnten sich die wöchentlichen Verluste demnach sogar auf zweistellige Milliardenbeträge summieren, schreiben Ifo-Präsident Clemens Fuest und Kollegen in einem kürzlich publizierten Aufsatz.
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